Das Schwarzfeuer [5.4.]

Der Vulkan Schwarzfeuer steht kurz vor dem Ausbruch. Während die Bewohner von Phoenixstein ihr Heil in der Flucht suchen, erfahren Alrond und seine Begleiter, dass es einen Schwarm der Feuerplankten gibt, der wissen könnte, wie die Eruption verhindert werden kann. Zeitgleich segelt ein Schiff in die Libellenbucht.

Die Erzählung „Das Schwarzfeuer“ ist der fünfte Teil der Reihe „Geschichten aus dem Blauen Nebelgebirge“.

Was bisher geschah

  • Übersicht
  • Die Begegnung in den Ruinen [4.5]
  • Das Schwarzfeuer [5.1]
  • Das Schwarzfeuer [5.2]
  • Das Schwarzfeuer [5.3]

Das Schwarzfeuer [5.4.]

Das Segelschiff legte knarzend und wankend an. Die Kapitänin schrie Befehle, die sie mit einigen deftigen Flüchen würzte. Alrond kam mit Sellur und Wad zum Pier, um nachzusehen, ob sie den Matrosen helfen könnten.
„He, Alrond!“, eine vertraute Frauenstimme rief seien Namen.
Kann das denn die Möglichkeit sein? Alrond traute seinen Ohren nicht.
„Hörst du mich nicht?“ Lyssea lachte.
Er hatte sich nicht getäuscht, es war Lyssea, die auf ihn zu schlenderte.
Sie sprang ihm in die Arme und umarmte ihn. „Ich glaube es nicht, du lebst“, sagte sie überschwänglich.
„Lyssea, du hier? Ich freue mich, dass es dir gutgeht! Es ist so viel passiert.“
„Was haben wir uns für Sorgen um dich gemacht!“ Sie strahle ihn an. „Wir haben nach Wegen und Eingängen in die unterirdischen Gänge geforscht, um dich zu finden. Geht es dir gut?“
„Ja, wenn ich bei dir … wenn ich bei euch bin, geht es mir gut.“ Er sah sie glücklich an. „Und habt ihr die Heilerin getroffen?“
„Ja, sie ist jetzt bei den Mitgliedern des Kleinen Rates und hilft ihnen. Gatton ist auch bei ihnen.“
„Der Hauptmann ?“, fragte Alrond verwundert.
„Ja, das erzähle ich dir später. Das Wichtigste ist, dass es dir gut geht.“
„Wie ich sehe, habt ihr alles um euch vergessen“, wandte Ysella ein und zwinkerte ihnen zu.
Alrond spürte, wie ihm die Röte in die Wangen emporstieg. „Hallo Ysella, hallo Manas, schön, euch wiederzusehen. Danke, dass ihr alle nach uns gesucht habt.“
„Viel konnten wir nicht erreichen, wie es mir scheint“, erwiderte Ysella. „Wir haben dich in den unterirdischen Gängen vermutet, weil du zuletzt im Wassertempel warst. Dann haben wir in den Archiven nach Karten und Wegbeschreibungen gesucht. Aber ihr habt euch offensichtlich alleine retten können.“
„Danke, dass ihr es versucht habt, ich weiß es schätzen. Wir haben uns aber nur teilweise alleine gerettet. Baderro und seine Freunde sind uns zu Hilfe geeilt.“
„Wer ist Baderro?“
Der Angesprochene räusperte sich.
Ysella drehte sich um und sah die große Schildkröte, die sich bis dahin im Hintergrund aufgehalten hatte.
„Was ist das?“, fragte Ysella überrascht.
„Darf ich mich vorstellen: Baderro ist mein Name.“ Er nickte majestätisch.
„Ich verstehe nicht …“, stotterte Ysella.
„So ähnlich habe ich auch reagiert“, sagte Alrond. „Und ihr habt gedacht, dass ich alle diese Geschichten nur erfunden habe.“
„Unglaublich!“ Auch Manas kam nicht aus dem Staunen heraus.
„Ich finde euch auch unglaublich“, erwiderte Baderro leicht pikiert. „Wesen ohne Panzer, die sich auf zwei Beinen fortbewegen. Wer hat so etwas gesehen.“ Er schnaubte genervt durch seine Nasenlöcher.
„Ich will euch ungern stören“, sagte Getam, „aber wir sollten uns langsam auf den Weg machen. Das Schwarzfeuer steht vor dem Ausbruch.“
„Ein … ein …“ Manas sah abwechselnd Getam, Alrond und Lyssea an.
„Ja, ja, ein sprechendes Seepferd, wie außergewöhnlich. Das habe ich in letzter Zeit oft gehört.“ Getam verdrehte seine riesigen Augen, was unfreiwillig komisch aussah.
„Während ihr euch wundert, werde ich mich um den Transport kümmern“, sagte Baderro und verschwand im Wasser.

Alrond traute seinen Augen nicht, als er wenige Minuten später fünf Schildkröten sah, die aus dem Wasser auftauchten. Sie sahen alle Baderro ähnlich, mit einigen kleinen Abweichungen: ein weißer Fleck hier, eine schwarze Linie da und eine Muschel auf dem Panzer dort.
„Meine Brüder und Schwestern werden uns zum Korallenriff bringen“, erklärte Baderro. „Später werden wir noch Unterstützung mit dem Licht bekommen. Den großen Schwarm werden wir beim Korallenriff treffen. Doch jetzt steigt auf und haltet euch gut an den Panzern fest.“
„Und wie sollten wir unter Wasser atmen?“, fragte Lyssea.
„Keine Sorge, darum haben wir uns auch gekümmert“, erwiderte das Seepferd. „Hier, nehmt diese Algen. Solange ihn darauf rumkaut, werdet ihr atmen können.“ Er reichte ihnen mit seiner Schwanzflosse ein Bündel Algenblätter.
„Wir müssen uns gleich auf den Weg machen“, sagte Getam. „Einen Zweibeiner kann ich auch auf dem Rücken mitnehmen.“
Sie gingen zur Kapitänin Eleonorra, die mit ihrer Mannschaft neben dem Zweimaster wartete.
„Danke, dass ihr uns hierhergefahren habt“, sagte Lyssea.
Alrond nickte.
„Gern geschehen. Es sind seltsame Zeiten, wenn ich mir diese Wesen ansehe. Doch zumindest scheinen eure neuen Gefährten freundlich zu sein.“
„Wohin werdet ihr jetzt segeln?“, fragte sie Alrond.
„Zurück nach Phoenixstein. Wir wollen noch einige Bewohner in Sicherheit bringen. Können wir noch etwas für euch tun?“
„Sagt der Königsgarde, dass wir am Vulkan Unterstützung gebrauchen könnten.“
„Wie können sie den Eingang finden?“
Ysella trat an sie heran. „Hier, nehmt diese Karten, wir haben sie in den Archiven der Schreiber gefunden“, erklärte Ysella. „Ich habe mir die wichtigsten Wege und Eingänge eingeprägt. Eines der Tore zum Schwarzfeuer befindet sich unterhalb der Klippe des blauen Albatrosses.“ Ysella übergab der Kapitänin drei Schriftrollen.
„In Ordnung, das werden wir tun“, erwiderte die Kapitänin.
Baderro räusperte sich. „Es ist an der Zeit.“
Eleonorra verabschiedete sich von ihnen. Sie kehrte auf ihr Schiff zurück.
Alrond setzte sich auf den Rücken von Baderro. Der Panzer fühlte sich rau und glitschig an. Die anderen taten es ihm gleich.
Lyssea sah ihn an.
„Viel Glück!“, sagte er und lächelte.
„Das wünsche ich dir auch.“
Aus den Augenwinkeln sah Alrond wie der Zweimaster die Segel setzte und den Anker lichtete. Baderro erinnerte ihn daran, gründlich auf dem Algenblatt zu kauen und tauchte daraufhin unter.

Alrond hielt sich am vorderen Rand des Panzers von Baderro fest. Die Kante war abgerundet, trotzdem fühlte er ein brennendes Ziehen. Luftblasen rauschten an ihm vorbei. Sie tauchten immer tiefer. Lichtstrahlen erleuchteten wie Kristalle die Unterwasserwelt, Fische schwammen gleichgültig an ihnen vorbei.
Getam hatte recht, dachte Alrond. Die Algen, die er Ihnen gegeben hatte, wirkten Wunder. Er konnte problemlos durch den Mund atmen.
Ihr Tauchgang fühlte sich unwirklich an. Vermutlich drang kein Mensch aus dem Königreich jemals so tief vor. Er konnte die anderen Schildkröten und das anführende Seepferd nur schemenhaft erkennen. Baderro glitt förmlich durchs Wasser. Träume ich wohl? Die wilde Reise fühlte sich sonderbarerweise wie Fliegen an, nur viel nasser, dachte Alrond.
Als sie um einen Felsen bogen, schwebten mehrere rot- und violettfarbige Quallen heran. Sie umringten sie, was die ungleiche Gruppe veranlasste, anzuhalten.
Baderro schwamm auf die Quallen zu. Er schien sie zu kennen. Sie waren wohl die versprochenen Helfer. Eine der Quallen näherte sich ihm. Vermutlich der Anführer der Gruppe. Sie unterhielten sich, doch Alrond verstand kein Wort. Die Unterhaltung bestand aus klickenden und gutturalen Lauten. Kurz darauf deutete Getam mit seiner Flosse, dass die Quallen sie begleiten würden.
Sie leuchteten ihnen im Dunkeln und wiesen ihnen den Weg.
Nach einigen stillen Momenten sah Alrond ein weitverzweigtes Korallenriff.
Lyssea zeigte ebenfalls auf die Felsformation, die vielfarbige Lebewesen bedeckten. Mehrere Seeanemonen bewegten ihre Tentakel, als ob sie die Neuankömmlinge begrüßen wollten. Aus einer Öffnung im Felsen stolzierte ein Krebs heraus. Daneben schlängelte sich ein Aal zwischen dem Seegras.

Wie aus dem Nichts schwärmten kleine Lichtpunkte heran. Nach kurzen tänzerischen Bewegungen fügten sie sich zu einem großen Gebilde zusammen. Sie erzeugten dabei eine Art hypnotischen Singsang.
„Wir sind am Ziel. Das sind die Feuerplankten.“ Baderro drehte sich zu Alrond um.
Das pulsierende Licht des Schwarms spiegelte sich auf den Panzern der Schildkröten und in den Gesichtern der menschlichen Mitreisenden wider.
„Sie haben uns erwartet, wie es aussieht“, sagte Baderro.
Alrond nickte zustimmend. Er betrachtete fasziniert das glühendrote Gebilde, das sich vor ihnen aufbaute. Die winzigen Lebewesen formten ein großes Gesicht.
„Willkommen!“, hallte es aus Tausenden von Kehlen. Der Schwarm sprach wie ein Chor. „Ihr habt eine gefahrvolle Reise hinter euch gebracht.“
Das Gesicht des Schwarms wirkte so menschlich, dass sich sogar die Augenbrauen und die Mundwinkel beim Sprechen bewegten. Die Feuerplankten ahmten die Mimik eines Menschen nach, um ihre Worte besser unterstreichen zu können.
„Ja, wir sind hier, weil wir eure Hilfe brauchen“, erwiderte Getam. Er war der einzige, der sich getraut hat, sich dem sonderbaren Kopf zu nähern.
„Wir wissen, warum ihr hier seid“, unterbrach ihn der Schwarm. Das Wasser vibrierte bei jedem ausgesprochenen Wort. „Das schwarze Feuer ist wieder zum Leben erwacht. Böse Geister wollen die Kraft des Erdinneren missbrauchen, um große Zerstörung hervorzurufen.“
„Wer sind die Geister? Die Wechselinge und ihre Bande?“, fragte das Seepferd.
„Ja, aber nicht nur sie. Ihr werdet noch früh genug die schmerzhafte Wahrheit erfahren. Doch hört uns jetzt zu. Wir müssen euch erklären, wie ihr die schwarze Glut löschen könnt“, sprachen die Feuerplankten im Chor. „Die Zeit verrinnt wie das Sonnenrot, das im Meer versinkt.“
„Was können wir tun?“, fragte das Seepferd.
„Ihr musst den Vulkan durch die westliche Öffnung betreten und dann zur großen Säulenhalle schreiten. Dort befindet sich das Rad der Weisen.“
Alrond sah sich verstohlen um. Alle lauschten gebannt den Worten des Schwarms.
„Das Rad müsst ihr schließlich in die Obsidianhöhle bringen. Von dort aus wird die Herstellung der Energie gesteuert.“
„Was können wir dort tun? Wir sind keine Magier. Wie können wir das Feuer bändigen?“, fragte Baderro verzweifelt.
„Ihr nicht, aber euer Freund, der Marâanaer.“ Der Schwarz sah Sellur an.
Alle drehte sich zu ihm um.
„Stimmt das?“, wollte Alrond wissen.
„Vermutlich … ich denke schon.“ Sellur räusperte sich. „Wir haben auch eine Energiezentrale, die wahrscheinlich jener im Inneren von Schwarzfeuer nicht unähnlich ist, sie ist nur um Vielfaches kleiner. Wir haben sie in einem Geysir auf der Koralleninsel errichtet. Ich glaube, ich könnte das Steuerrad bedienen.“
„Und wie finden wir den Eingang? Wer steckt hinter alledem?“ Alrond ließ nicht locker.
„Leider haben wir jetzt keine Zeit mehr. Ihr seid hier nicht mehr sicher. Wir spüren eine große Gefahr auf uns zukommen. Geht nun zum Schwarzfeuer!“
In dem Moment tauchten hinter ihnen drei großen Barrakudas auf. Bedrohlich näherten sie sich dem Korallenriff.
„Schnell, flieht!“, warten sie der Schwarm. „Und viel Glück!“
Die Plankten stoben davon, als die Raubfische durch den Schwarm wie durch einen Nebel pflügten. Die Barrakudas schnappten nach den winzigen Lebewesen, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten. Doch mehr Interesse schienen sie für Alrond und seine Freunde zu haben.
Die Schildkröten schnellten durchs Wasser. Baderro führte die kleine Gruppe an.
Alrond fiel es nun merklich schwerer, sich festzuhalten.
Die Barakudas verkürzten den Abstand. Der mittlere der drei Fische riss das Maul weit auf. Zwei Reihen spitzer Zähne kamen zum Vorschein.
Das Wasser zischte, als das Seepferd und die Schildkröten nacheinander durch eine Öffnung im Korallenriff preschten.
Eine scharfe Felskante schnitt den Oberarm von Alrond auf.
Die Schildkröte, mit der Lyssea reiste, schwamm langsamer als die anderen.
Die großen Fische kamen immer näher. Sie drohten sie einzuholen.
Nur noch fünf Meter. Noch vier. Drei.

Titelbild

Foto: Die Libellenbucht, Rechte: Dario Schrittweise

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4 Antworten auf „Das Schwarzfeuer [5.4.]

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  1. Hallo Dario,

    das ist eine spannende Geschichte. Mir gefällt insbesondere diese besondere Verbindung zwischen den Menschen und den Tieren. So ein Glück, dass die Tiere auf eine kreative Weise einen Weg für die Menschen gefunden haben, ihnen das Atmen unter Wasser zu ermöglichen. Ich freue mich schon auf die neuen Ereignisse.

    LG. Sophie Mai

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