Die Halle der Eisglut [6.1.]

Die Ereignisse überschlagen sich und die Gefahr wird greifbarer. Die Gesellschaft um Alrond sucht auf der Insel der Vier Winde Ariadne. Die Bekannte von Alrond kann ihnen helfen, sich im Vulkanlabyrinth zurechtzufinden. Können sie die Eruption von Schwarzfeuer verhindern?

Die Erzählung „Die Halle der Eisglut“ ist der sechste und letzte Teil der Reihe „Geschichten aus dem Blauen Nebelgebirge“.

Was bisher geschah

Die Halle der Eisglut [6.1.]

In Ariadnes Haus herrschte absolute Ordnung. Alles hatte seinen Platz. In der kleinen Küche lagerte ihre Gastgeberin Kochzutaten. An der Wand hingen Lorbeeren, Petersilie und Koriander. In einem Regal bewahrte sie Gewürzgläser auf.
Ariadne führte sie durch ein Vorzimmer in einen großen Raum, in dem das Tageslicht durch eine Dachluke hereinfiel. An der gegenüberliegenden Wand brachen sich die Lichtstrahlen.
Wie bei jedem seiner Besuche staunte Alrond, als er diesen Raum betreten hatte. Er bewunderte wie akkurat alles angeordnet war, was auf Ariadnes Ordnungssinn hindeutete.
„Bitte, nehmt Platz.“ Die Weberin deutete mit einer Handbewegung auf Stühle in einer Ecke des Raumes. Ihre Gastgeberin setzte sich an ein Spinnrad. „Ihr braucht vermutlich einen starken, gut sichtbaren Faden, der euch helfen kann, aus diesem Schlamassel rauszukommen.“ Die Weberin kramte in der Sammlung ihres Garns. „Ein roter Faden sollte es sein …“
„Danke, ich vertraue dir.“ Alrond lächelte. „Du wirst schon die richtige Wahl treffen. Du hast mir schon häufig geholfen.“
„Häufig?“, fragte Lyssea. „Wie oft warst du schon hier?“ Sie musterte ihn misstrauisch.
„Hm, ich schätze acht bis zehn Mal.“ Alrond erörterte. „Alles war aber strickt geschäftlich.“
Ariadne begann den Faden zu knüpfen. Sie fädelte die einzelnen Stränge ineinander. Mit ihrem rechten Fuß wippte sie am Trittbrett des Spinnrads.
Das Rad drehte sich knatternd. Wie hypnotisiert betrachtete Alrond dessen Drehungen. Der Faden wurde länger und kräftiger.
„So, ich wäre jetzt fertig.“ Sie wickelte den Faden zu einem Knäuel.
„Ihr habt nicht mehr viel Zeit. Ich werde euch mein Segelschiff leihen. Damit werdet ihr im Nu zum Vulkan flitzen. Mein Freund mit den Scherenhänden wird euch begleiten, er findet sich hervorragend in unterirdischen Gängen zurecht. Sagt ihm nur, wohin er euch bringen soll und er wird voran marschieren.“


Ariadne begleitete sie zum Strand. Sie zeigte ihnen eine Abkürzung durch einen Walnusswald. Am Strand warteten ihre Freunde auf Lyssea und Alrond.
„Da seid ihr endlich“, rief Baderro erleichtert. „Der Himmel ist vollkommen schwarz geworden. Die Eruption steht kurz bevor, es ist nur eine Frage der wenigen Stunden.“
Ein kräftiger Mann trat an sie heran. Er trug eine einfache Matrosenuniform mit einer Kapitänsmütze. Sein braunes Haar fiel ihm bis zu den breiten Schultern.
„Das ist mein lieber Freund. Er ist der Kapitän des Schiffes.“
„Freut mich.“ Der Mann tippte auf seine Mütze zum Gruß und grinste.
„Mit meinem Zweimaster werdet ihr in Windeseile euer Ziel erreichen. Lasst nur den Kapitän navigieren.“
„Danke dir, Ariadne.“ Alrond schüttelte ihr die Hand.
Die Weberin lächelte. „Viel Erfolg. Passt auf meinen Einsiedlerkrebs auf. Und der rote Faden hilft euch, wieder den Ausgang aus dem Schlamassel zu finden.“
Alrond und seine Freunde verabschiedeten sich von ihr.
Der Krebs tat sich schwer mit dem Einsteigen. Er klapperte nervös mit den Scheren.
„Kommt, wir helfen ihm“, rief Alrond. Wad und Sellur schoben mit Alrond an. Mit viel Mühe hievten sie das Schalentier über die Reling.
Der Kapitän kam aus der Kabine heraus. „Zu euren Diensten! Wohin soll es gehen?“ Er rückte seinen Hut zurecht und grinste sie an.
„Sehen Sie den explodierenden Berg?“ Alrond deutete auf den Vulkankegel mit schwarzer Rauchsäule, die bedrohlich den Himmel bis zum Horizont bedeckte.
„Himmel und Hölle! Das ist der letzte Ort, zu dem ich heute segeln will, aber wenn die Herrschaften es wünschen …“
„Wir haben keine andere Wahl'“, erwiderte Sellur entschlossen.
„In Ordnung, haltet euch gut fest, es geht gleich los.“ Der Kapitän löste die Seile, die das Schiff mit der Anlegestelle verbanden.
Die Wolkendecke verfinsterte sich zusehends. Donnergrollen ertönte in der Ferne.
„Das klingt nicht gut.“ Der Kapitän sah ernst in den Himmel.
Die ersten Regentropfen fielen. Die Stellen, die sie trafen, dampften zischend.
„Der Regen ist giftig!“, warnte Alrond. „Schnell unter Deck.“
Die Tropfen brannten wie Glutfunken Löcher in die Segel. Das kleinere Segel fing Feuer.
„Schnell, jemand muss das Feuer löschen, bevor es sich ausbreitet!“ Der Kapitän hielt das Schiff auf Kurs, obwohl er selber mehrere Treffer erleiden musste. Er klammerte sich am Steuerrad fest.
Alrond holte ein Tablett aus der Kombüse. Er hob es zum Schutz über den Kopf und schnellte zum Segel. In einem Putzeimer war noch Wasser übrig. Alrond nahm den Eimer und goss das Wasser auf die brennende Stelle. Das Wasser verlangsamte die Verbreitung des Feuers, konnte es jedoch nicht völlig löschen.
„Löse es aus der Befestigung“, rief der Kapitän. „Wir müssen uns auf das Hauptsegel konzentrieren. Du wirst das hier brauchen.“ Er warf ihm ein Kurzschwert zu. Die Schwertspitze bohrte sich geräuschvoll in das Holz des Mastbaumes.
Zentimeter für Zentimeter kletterte Alrond zur obersten Ecke des Segeldreiecks. Er hielt das Tablett wie ein Schild über den Kopf und das Schwert hing an seinem Gürtel. Der sengende Regen fiel ohne Erbarmen weiter.
Oben angelangt zerschnitt er mit dem Kurzschwert das Seil. Das brennende Dreieck klappte nach unten. Alrond rutschte den Mast hinunter, wo er die restlichen Seile zerschnitt. Das Vorsegel fiel ins Wasser. Währenddessen fing auch das Hauptsegel Feuer.
„Wir müssen schnell aus dem Regen verschwinden. Ich kenne eine Felsinsel in der Nähe.“ Der bärtige Mann änderte den Kurs mit schnellen Drehungen am Steuerrad. Er navigierte das Segelschiff zu einem Eiland, das nur aus einem einzigen Steinbrocken zu bestehen schien.
„Was erwartet uns dort?“, fragte Alrond.
„Dort können wir Schutz vor dem Regen finden und die Segel reparieren.“
Das Schiff blieb unter einem Felsvorsprung stehen. Der Kapitän warf den Anker ins Wasser.
„So, hier sind wir vorerst in Sicherheit.“ Er verließ seinen Posten, um sich seine Wunden anzusehen.
Die Regentropfen zischten beim Aufprall auf der Wasseroberfläche und färbten das Meer in eine giftgelbe Farbe.
„Was ist das für ein seltsamer Regen?“, wollte Lyssea wissen.
„Ich weiß es nicht genau, aber es kann nichts Gutes sein. Sieh dir die Fische an.“ Sellur deutete auf eine Ansammlung von Fischen, die leblos auf der Meeresoberfläche trieben.
„Der Gestank erinnert mich an Sumpfgase“, mutmaße Baderro.
Sie wechselten die Segel. Alle packten mit an. Sogar die Schildkröte Baderro zog die Leinen mit seinem Mund.
Es dämmerte bereits, als der Regen aufhörte.
„Jetzt ist es sicher, weiterzufahren“, stellte der Kapitän fest.
Beherzt drehte Alrond an einer Kurbel, um den Anker zu lichten, wie er es beim Kapitän gesehen hatte. Knatternd hob er die schwere Ankerkette aus dem Wasser.
Mit gehissten Segeln setzte das Segelschiff die Reise fort.

Vor ihnen tauchte die Vulkaninsel auf. Mit ihren schwarzen Flanken und gehüllt in dunkle Wolken wirkte sie noch bedrohlicher, als Alrond sie in Erinnerung hatte.
Der Kapitän navigierte das Segelschiff in seichtes Gewässer vor der Vulkaninsel.
„Hier endet unsere Fahrt. Ich werde euch auf dem Beiboot zum Ufer begleiten und wieder zum Schiff zurückrudern.“ Der Kapitän ließ das Boot zu Wasser.
Zuerst stiegen Lyssea und Sed ins Beiboot. Anschließend kletterte Alrond hinunter.
Die anderen folgten ihm. Das Boot schaukelte, als sich alle nebeneinandersetzten.
Der Einsiedlerkrebs, Baderro und das Seepferd Gellan sprangen ins Meer.
„Wir werden euch hier verlassen müssen“, sagte Baderro. „Leider können wir nicht durch die unterirdischen Gänge des Vulkans krabbeln wie ihr Zweibeiner oder der werte Herr Krebs.“
„Verständlich. Danke euch für eure Hilfe bis hierhin“, erwiderte Alrond.
Sie verabschiedeten sich von ihren Freunden aus dem Meer.
Der Kapitän ruderte das Boot zum Strand. „Ich wünsche euch viel Erfolg!“, sagte er, als alle ausgestiegen sind.
„Danke, Glück werden wir brauchen“, erwiderte Alrond. „Hier, dein Schwert.“
„Behalte es, du brauchst es dringender als ich.“
„Danke dir.“, sagte Alrond.
Der Kapitän kehrte mit dem Boot zum Schiff zurück.
„Dort, der Eingang in die Unterwelt.“ Alrond deutete auf einen Felsspalt.
„Ich werde vorausspähen“, erinnerte sie der Einsiedlerkrebs. Er klapperte wie gewohnt mit den Krebsscheren. „Gebt mir ein Ende des Zaubergarns von Ariadne. Dann werde ich damit vorausgehen.“
„Hier ist er.“ Alrond reichte ihm den roten Faden.
Der Krebs verschwand mit dem Faden im Spalt.
„Jetzt ist es also so weit“, sagte Lyssea.
„Ja, ab hier wird es ernst. Die Zukunft von Phoenixstein hängt von und ab“, pflichtete ihr Alrond bei.
Einer nach dem anderen folgten sie dem Krustentier in die Höhlenwelt.
Bevor er hineinging, blickte Alrond noch einmal aufs Meer. Der Zweimaster verschwand hinter dem Horizont. Er schritt durch das breite Tor. Auf dem Boden erkannte er den roten Faden. Er schimmerte in der Dunkelheit.
Die Freunde betraten eine größere Kreuzung. Die Klappergeräusche und der leuchtende Faden führten in den rechten Gang.
„Guten Abend, Alrond“, begrüßte ihn eine Frau spöttisch.
Die Stimme kam ihm bekannt vor. Alrond drehte sich um. Vor ihm stand eine in schwarze Kleider gehüllte Frau.
„Dunkle Herrin!“ Alrond erinnerte sich mit Schaudern an ihre erste Begegnung, die er fast mit seinem Leben bezahlt hatte.

Fortsetzung folgt

Titelbild

Foto: Die Weberin der Vier Winde (Symbolfoto), Rechte: Dario Schrittweise

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