„Schwer in Ordnung“!

Die Geschichte von Hannah Kiesbye aus Halstenbek zählt für mich zu den schönsten Nachrichten des vergangenen Jahres. Die 17-jährige Schülerin wurde am 03.10.20, dem Tag der Deutschen Einheit, für ihr besonderes Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Die Schülerin, die mit dem Down-Syndrom lebt, erfand Ende 2017 den „Schwer-in-Ordnung“-Ausweis, weil sie die offizielle Bezeichnung „Schwerbehindertenausweis“ als diskriminierend empfand. Bei ihrer Erfindung handelt sich um eine Hülle, in die der Ausweis gesteckt wird. Dann ist nur der Schriftzug „Schwerinordnungausweis“ zu sehen. Was zunächst eine improvisierte Hülle war, wurde später nach und nach von mehreren Bundesländern als offizielle Ausweishülle angeboten.

Über ihre Idee zu dieser speziellen Ausweishülle, die ihr beim Schreiben eines Schulaufsatzes eingefallen ist, sagte Kiesbye für die ZEIT: „Ich möchte so sein wie die anderen. Ich lebe mit dem Down-Syndrom, aber ich führe ein normales Leben. Ich finde es unfair, dass ich „schwerbehindert“ sein soll und deshalb mit einem „Schwerbehindertenausweis“ herumlaufen muss. Damit werde ich in eine Schublade gesteckt. Außerdem passt der Ausweis nicht zu mir. Im Alltag brauche ich die Hilfe meiner Eltern kaum. Ich reite, gehe zum Zirkus, lese gerne Bücher und schreibe. Wenn ich etwas auf dem Herzen habe, bringe ich es zu Papier.“ (Hannah Kiesbye, zeit.de)

Die Auszeichnung erhielt die Schülerin vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellvue in Berlin. Der Bundespräsident sagte, dass der „Schwer-in-Ordnung“-Ausweis von Kiesbye eine Debatte über die Rechte der Menschen mit Behinderung ausgelöst hätte und zeige, wie wichtig es sei, dabei auf unsere Sprache zu achten.

Zur Umsetzung von Hannah Kiesbyes Idee gab es neben viel Zuspruch auch negative Stimmen, weil die Hülle laut den Kritikern die eigentlichen Probleme nur kaschiere. Mehrere Bundesländer bieten zwar inzwischen die Ausweishülle an, doch die Bezeichnung darunter lautet weiterhin „Schwerbehindertenausweis“. Eine Namensänderung konnte sich politisch nicht durchsetzen. In meinen Augen ist die offizielle Hülle zwar „nur“ ein Anfang, ein erster Schritt zu einem besseren Umgang mit Menschen, die mit einer Behinderung leben, aber es ist ein sehr guter und lobenswerter Anfang. Den Einsatz von Hannah Kiesbye finde ich bemerkenswert, sie ist ein Vorbild, dem hoffentlich viele Menschen folgen werden. Ihre Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz ist ein wichtiges Zeichen für unsere Gesellschaft.

Acht Bundesländer übernahmen bisher den „Schwer-in-Ordnung“-Ausweis. Die Erfinderin wünscht sich, dass eines Tages alle Bundesländer die Hülle offiziell anbieten und der Ausweis ganz in „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“ umbenannt wird. Ich schließe mich ihren Wünschen an und hoffe, dass die Menschen mit Behinderung bessere Chancen im Leben bekommen, nicht mehr ausgegrenzt werden und die Hürden für sie allgemein weniger werden. Ich würde mich über mehr solcher Lichtblicke und guten Nachrichten freuen. Bis der Ausweis umbenannt wird, plant Kiesbye, beim Busfahren und in anderen Situationen, in welchen der Ausweis benötigt wird, weiterhin ihre selbst gemachte Ausweishülle zu benutzen.

Quellen

Titelfoto: Der Weg der Hoffnung (Symbolbild, Fotorechte: Dario schrittWeise)
https://www.zdf.de/nachrichten/video/politik-bundesverdienstkreuz-kiesbye-100.html
https://www.zeit.de/2018/50/junge-menschen-mut-aktivismus-werte/seite-3
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-03/schwer-in-ordnung-huelle-behindertenausweis-bundeslaender
https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Halstenbekerin-Hannah-Kiesbye-erhaelt-Bundesverdienstkreuz,hannahkiesbye102.html

19 Antworten auf „„Schwer in Ordnung“!

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  1. Das ist ja schön und Hannah Kiesbyes ist ganz offensichtlich schwer in Ordnung!!!
    Ganz toller und interessanter Beitrag, vorbildlich für so vieles was nicht nur im Amtsdeutsch zu ändern wäre.
    Liebe Grüße von Hanne und hab noch ein schönes Wochenende, liebe Dario. 🌟🕯️🕯️🕯️🍀

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  2. Ein Mädchen, das mit Downsyndrom lebt, protestiert erfollgreich gegen das Stigma „schwerbehindert“.
    Das ist etwas ganz Neues. Kinder, die mit Downsyndrom geboren waren, wurden früher meistens in Kinderheime gesteckt (versteckt), wenn sie überhaupt das Licht der Welt erblickten dürften. Die Ausweißhülle von Hanna Kiesbye wird zu einem Symbol, einem lautem Protest von Jemand, der Recht hat, es zu sagen. Sie hat offensichtlich
    auch die Unterstützung der Eltern. Der „Schwerbehindertenausweis“ wurde als „gut gemeinte“ finanzielle Unterstützung gedacht. Man sagt, dass das Gegenteil von „gut gemacht“ „gut gemeint“ ist. Parallel mit den Änderungen auf der Ausweißhülle müssen auch Änderungen in unseren Köpfen geschehen. Oft beleidigen wir die Menschen mit Behinderungen mit gedankenlosen Worten. So schlage ich vor, dass wir auf unsere Sprache achten.

    Ich beginne mit nur einem Begrif: „Idiot“
    „Na du bist ein Idiot.“
    „Was sagst du da? Ich bin doch kein Idiot“.

    Lieber Dario, das ist ein sehr bewegender, ermutigender Beitrag. „Gut gemacht!“
    LG, Sophie Mai

    Gefällt 2 Personen

    1. Danke dir, Sophie, für deinen Kommentar. Ja, wir sollten mehr darauf achten, wie wir über dieses Thema reden und welche Worte wir benutzen, denn sie können verletzen, auch wenn wir das vielleicht gar nicht beabsichtigt hatten. Liebe Grüße und ein schönes Wochenende dir, Dario 🙂🍀

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      1. Die Buskarte beim OÖVV (Oberösterreichen Verkehrs Verbund) für Menschen mit Beeinträchtigung hieß früher „Spezial“.
        Jetzt heißt sie „Für Behinderte“.
        Vor zwei Jahren noch stand „Spezial“ auf der Fahrkarte – jetzt „Behindert“. Traurig ist sowas. Liebe Grüße M.M.
        Ich finde das ist ein arger Rückschrit.

        Gefällt 1 Person

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