In der heutigen Zeit brauchen wir mehr positive Nachrichten, die Mut und Hoffnung machen, weil uns immer mehr Negatives erreicht. Nicht nur Vereine oder Organisationen, sondern es sind gerade Einzelpersonen, die aus Eigeninitiative ein Projekt ins Leben rufen, mit dem sie für Lichtblicke in ihrer Umgebung sorgen.
Eine dieser Personen ist die Studentin, Pilgerin und Bloggerin Annelie Voland, die derzeit ein Forschungssemester macht und an ihrer Masterarbeit sowie Vorbereitung ihrer Promotion arbeitet. Im Jahr 2017 hat Annelie ihr Projekt „Gemeinsam pilgern gegen Krebs“ gestartet. Seit dem letzten Jahr bin ich ein Leser ihres WordPress-Blogs und dieses Jahr habe ich mich dazu entschieden, einen Beitrag über ihr Projekt zu schreiben. Ich habe sie um ein Interview gebeten und sie hat freundlicherweise zugesagt.
Ihre Antworten hat mir Annelie vor meiner Pilgerreise im September in Audioformat geschickt, ich kam aber erst jetzt dazu, die Beiträge zu schreiben. Ich fand ihre Antworten sehr ehrlich, erfrischend, inspirierend und bewegend.

Frage 1: Kurze Vorstellung
Frage: Hallo Annelie, vielen Dank, dass du dir die Zeit für die Beantwortung meiner Fragen nimmst. Erzähle uns am Anfang etwas über dich.
Antwort von Annelie:
Hallo Dario,
in der ersten Frage, die du mir gestellt hast, hast du mich gebeten, erstmal etwas über mich selbst zu erzählen. Ich bin Annelie, ich mache gerade im Master of Education, also den Lehramtsmaster, und studiere Sport und Ernährungswissenschaften. Ich bin 27 Jahre alt und schon seit vielen vielen Jahren ehrenamtlich für die Berliner Krebsgesellschaft tätig.
Ich war 2017 auf dem Jakobsweg, nachdem ich meinen Bachelor abgeschlossen hatte und ja es ist eine etwas längere Geschichte, da komme ich wahrscheinlich später noch mal darauf zurück.
Zurzeit bin ich dabei, meine Masterarbeit zu schreiben und werde ab September dieses Jahres auch in Heidelberg am nationalen Zentrum für Tumorerkrankungen studieren und dort eine Promotion für das nächste Jahr vorbereiten. Es wird für mich weiter in die Wissenschaft gehen, auf sportwissenschaftlicher Ebene geht es in Richtung Medizin. Ich beschäftige mich mit dem Einfluss von körperlicher Aktivität auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Krebspatienten.
Ich treibe ansonsten sehr viel und sehr gerne Sport, ich bouldere und klettere, ich habe ein Rennrad, mit dem ich sehr gerne unterwegs bin. Ich bin unglaublich gern draußen, also von Wandern, Walking, über Schwimmen gehen, Stand-up-Paddling, Boot fahren, alles was man sich vorstellen kann. Ich bin auch dementsprechend sehr gesundheitsbewusst, ich trinke keinen Alkohol, rauche nicht und versuche da auch ein Stück als Vorbild voranzugehen.
Frage 2: Die Entstehung des Projekts
Frage:
In deinem Blog schreibst du über dein Projekt, welches auch gleichzeitig deine Herzensangelegenheit ist. Stell‘ uns bitte kurz dein Projekt vor. Was sind die Hauptziele? Dürfen wir erfahren, wie du darauf gekommen bist?
Antwort von Annelie:
Mein Blog nennt sich bei Facebook „Bewegung und Sport bei Krebs“, dazu gibt es auch eine Webseite (gemeinsam-pilgern.com). Am Ende ist es so, dass ich ein Pilgerprojekt habe, mit dem ich einmal im Jahr mit 15 Krebspatienten über den Brandenburger Jakobsweg laufe.
Wie ich sagte, ich war 2017 selbst auf dem Jakobsweg, weil mein Papa an Krebs gestorben ist, als ich 14 Jahre alt war. Ich habe irgendwie die Sache nie richtig verarbeitet und hatte immer das Gefühl, da ist etwas in mir, was nicht richtig ist und was sich nicht gut anfühlt und dafür habe ich praktisch meinen Jakobsweg genutzt. Da habe ich ganz tolle Erfahrungen sammeln dürfen und wundervolle Menschen kennengelernt. Deshalb bin ich auf die Idee gekommen, so ein Projekt auch mit Krebspatienten zu organisieren, zumal ich zu der Zeit auch bei der Berliner Krebsgesellschaft gearbeitet habe. Ich meinte dann, der Jakobsweg oder das Pilgern ist eine super Plattform, um sich auszutauschen und Erfahrungen zu sammeln, um auch wieder so den eigenen Körper zu spüren, Selbstwirksamkeit zu erfahren, das heißt auch an sich selbst wieder zu glauben, an die eigenen Fähigkeiten zu glauben und dann auch Menschen kennenzulernen, die das Gleiche erlebt haben. Das sind einfach eine tolle Idee und ein tolles Projekt. Die Berliner Krebsgesellschaft hat im Jahr 2017, als ich wiedergekommen bin, zu mir gesagt: „Ok, wir unterstützen dich und du bekommst von uns Fördergelder, wenn du für uns ein Konzept schreibst mit einer Finanzierungsplanung und einem Plan, was du vorhast“. Es hat dann auch alles geklappt, so dass ich dann 2018 erstmal mit meiner Gruppe gepilgert bin. Und es war eine unglaublich großartige Erfahrung, also das hat alle meine Erwartungen am Ende sogar noch übertroffen.
Viele Menschen haben mich dabei unterstützt und es sind am Ende viele Spenden zusammengekommen, die ich an die Berliner Krebsgesellschaft gespendet habe. Ich habe auch gleich mehrere Preise gewonnen, wodurch ich dann am Ende die Wanderung in diesem Jahr und auch in den nächsten Jahren finanzieren kann.
Hauptziele, die hatte ich gerade schon genannt, also tatsächlich geht es vor allem darum, dass die Leute, die mitkommen, sich austauschen können, es soll eine Plattform sein, um gemeinsam Erfahrung zu sammeln. Das Pilgern ist nur der Rahmen, aber am Ende geht es darum, dass man auf Leute trifft, die ähnliches erlebt haben und man sich einfach frei austauschen kann und es soll natürlich auch eine Außenwirkung haben, also praktisch Öffentlichkeitsarbeit, die auf die Erkrankung und auf die Notwendigkeit der Unterstützung und Langzeitfolgen von Krebserkrankungen und Krebsbetroffenen aufmerksam machen soll. Deswegen bin ich auch im Social Media sehr aktiv in dem Bereich.

Frage 3: Erfahrungen auf dem Jakobsweg
Frage:
Im Mai 2017 bist du alleine 450 Kilometer auf dem spanischen Jakobsweg gepilgert. Welche Erfahrungen hast du damals gesammelt? Gab es einen besonderen Augenblick, den du hervorheben möchtest? Hast du auch nennenswerte negative Erfahrungen gemacht?
Antwort von Annelie:
Also meine Erfahrungen sind eigentlich nicht so richtig zu beschreiben, jeder der einmal auf dem Jakobsweg war, der weiß, die Pilger sind eine riesig große Familie und man sagt zwar immer, man ist allein dort, aber man ist niemals allein, also man ist wirklich niemals alleine, das sind so viele unglaublich wundervolle Menschen auf dem Weg, mit denen man Vieles teilen kann, sowohl Erfahrungen als auch Schicksale teilen kann, und ich hatte immer das Gefühl, ich bin da sehr gut aufgehoben und sicher auf dem Weg.
Ein ganz besonderer Moment war für mich am „Cruz de Ferro“, das ist der höchste Punkt auf dem Jakobsweg. Wir sind dort zum Sonnenaufgang hochgelaufen, also wir sind um 3 Uhr aufgestanden und dann zum „Cruz de Ferro“ hochgelaufen. Dann habe ich eine Kerze für meinen Papa angezündet und habe für mich ja so den größten Teil meiner Trauer dort lassen können. Ich habe in der Zeit sehr viel an mir und auch am Tod gearbeitet. Ich habe mit mir dort oben, als die Sonne aufging, als ich diese Kerze angezündet und ein Foto dort aufgestellt habe, meinen Frieden geschlossen. Es war glaube ich einer der berührendsten Momente in meinem Leben, einer der Momente, die ich nicht vergessen werde und die auch immer in meinem Herzen bleiben.
Ich habe keine negativen Erfahrungen auf dem Jakobsweg gemacht, muss ich sagen. Also ok, ich hatte einmal Bettwanzen im Bett, es hat geregnet, es war heiß und alles Mögliche, aber das sind alles Erfahrungen, die man mitnimmt, die man mitnehmen muss. Es sind die kleinen Hürden, wie das Leben so spielt, aber ich habe keine, absolut keine negativen Erfahrungen gemacht.
Frage 4: Entscheidung für den Jakobsweg
Frage: Warum hast du dich konkret fürs Pilgern auf dem Jakobsweg entschieden? Gab es einen besonderen Grund?
Antwort von Annelie:
Man muss dazu sagen, dass es einen großen Unterschied zwischen dem Pilgern und dem Wandern gibt. Das Pilgern ist praktisch eine Reise zu sich selbst, man geht auf den Weg, um sich mit einer Sache auseinanderzusetzen, zu überlegen, wer man ist, warum ist man da, wo man ist, wo möchte man hin, es geht um sehr essenzielle Fragen des Lebens.
Beim Wandern geht es vor allem um die sportlichen Herausforderungen, also in meinem Fall zumindest. Wenn ich wandern gehe, dann möchte ich einen Berg erklimmen, oder eine bestimmte Strecke schaffen, aber beim Pilgern geht es nicht um Schnelligkeit und es geht auch nicht um Strecken, sondern es geht einfach darum, auf das Minimalistische runterzuschrauben wie es nur geht. Das heißt, du hast nur den Rucksack, zwei T-Shirts, zwei „Schluppis“ und eine Hose und läufst einfach über mehrere Wochen einen Weg. Man hat auch nichts anderes zu tun, außer laufen, essen und schlafen. Ich glaube, das Pilgern ist ein unglaublich befreiendes Gefühl, wenn man irgendwas hat, mit dem man sich auseinandersetzen möchte, weil man einfach dort den Raum und die Zeit hat, praktisch auch zu sich selbst zu finden.

Frage 5: Von der Idee bis zur Umsetzung
Frage:
Wie hast du die Entscheidung getroffen, ein Jahr nach dem Pilgern in Spanien mit einer Gruppe von Krebspatienten nach Berlin zu laufen?
Antwort von Annelie:
Die Idee bestand erstmal etwas unterschiedlich und etwas anders, als sie jetzt am Ende entstanden ist, aber wie ich schon sagte, die Berliner Krebsgesellschaft, die Geschäftsführerin Frau Dr. Zappel, hat mir da den Rücken gestärkt und gesagt, ich kann das machen, wenn das Ganze irgendwie Hand und Fuß hat, dann kriege ich Fördergelder.
Dann habe ich natürlich geschaut, wo macht es Sinn, langzulaufen. In Brandenburg ist die Infrastruktur der Herbergen dann doch nicht so gut, ich musste eine Strecke finden. die man laufen kann, die in einer Woche irgendwie machbar ist und wo man wirklich von Ort zu Ort eine Unterkunft für 15 Personen hat. Es ist jetzt auch nicht so selbstverständlich, dass man alle 20 km eine Jugendherberge hat, aber es gab tatsächlich einen Weg und es ist sogar der wirklich ausgeschriebene Jakobsweg in Brandenburg von Frankfurt (Oder) nach Berlin.
Ein Jahr vorher habe ich die ganzen Unterkünfte angerufen, meinte, ich hätte ein Projekt und ich bräuchte 15 Betten und das hat glücklicherweise alles gepasst. Ich habe auch dort sehr viel Unterstützung bekommen. Dann fiel die Entscheidung und die Finanzierung stand. Ich habe noch Spenden gesammelt, um das praktisch noch zu Ende zu finanzieren. Ich hatte die Gelder zusammen und die Strecke, dann brauchte ich nur noch meine Teilnehmer und das funktionierte dann auch alles tatsächlich sehr gut.
Frage 6: Der Tagesablauf beim Pilgern und was die Teilnehmer beachten müssen
Frage:
Wie können wir uns das Gruppenpilgern vorstellen? Gibt es einen festen Tagesablauf? Was müssen die Teilnehmer beachten und mitbringen? Wie viele Pilger kommen im Schnitt mit?
Antwort von Annelie:
Also pro Gruppe und pro Jahr nehme ich immer 14 oder 15 Teilnehmer mit und wir sind zwei Betreuungspersonen. Wir laufen immer die gleiche Strecke von Frankfurt (Oder) nach Berlin. Die Problematik der Unterkünfte habe ich vorhin schon mal erklärt, für mich ist es erstmal entspannt, weil ich die Strecke kenne und für die Teilnehmer ist die Strecke komplett neu. Von daher weiß ich, es funktioniert alles auf der Strecke, man kann sie zur Not abkürzen, wir sind nicht in der Wildnis unterwegs, sondern wir sind alle sehr gut angebunden und da brauche ich mir keine Sorgen zu machen, deswegen bleibt es dabei, dass wir diese Wanderung von Frankfurt (Oder) nach Berlin laufen.
Ein typischer Tag läuft folgendermaßen ab: wir stehen meist so um 7 Uhr auf, dann gibt es um 8 Uhr Frühstück. Jeder packt seinen Rucksack, Tagesverpflegung, Wasser, Sonnencreme und dann laufen wir los. Die Strecke am Tag ist meistens zwischen 20 und 25 km lang. Wir laufen schon den ganzen Tag, wir machen ungefähr jede Stunde eine kleine Pause. Ich finde es besser viele kleine Pausen zu machen, als eine lange, weil man da nicht so sehr müde wird und dann laufen wir meist durch den Wald, oder über Felder. Es geht tatsächlich wenig an der Straße entlang.
Was müssen sie mitnehmen? Also am besten so wenig wie möglich, wir brauchen zum Glück keine Schlafsäcke. Man hat ja einen Ausrüstungsoutfit an, dann braucht man praktisch noch einmal Wechselsachen, einmal Schlafsachen und dann ein Duschbad, ein leichtes Handtuch, so etwas in die Richtung, aber der Rucksack sollte generell nicht schwerer sein als 7 – 8 Kilo, weil sonst ist es einfach auf die Länge der Strecke nicht machbar zu tragen.
Was muss beachtet werden? Die Teilnehmer und Patienten, die mit mir mitlaufen, werden 3 Monate vorbereitet, es gibt noch ein Kennenlernwochenende, wo ich noch mal alles genau sage, was, wann und wo mitgenommen werden muss, auf was geachtet werden muss. Wenn sich alle daran halten, was ich sage und auf was zu achten ist, dann kommen wir da ohne Probleme durch. Diese Erfahrung habe ich gemacht. Ich bin inzwischen schon vier Mal gelaufen und da können sich alle Teilnehmer darauf verlassen, dass es keine Probleme gibt, wenn man sich an den Plan hält.
Ausblick – Teil 2
Den zweiten Teil des Interviews werde ich in wenigen Tagen veröffentlichen. Darin hat mir Annelie erzählt, wie der letzte Tag ihrer Pilgerwoche mit Krebsbetroffenen aussieht, welche Rückmeldungen sie von ihren Teilnehmern erhalten hat und einiges mehr.
Fotorechte: Alle Fotos in diesem Beitrag, auch das Titelfoto, hat mir freundlicherweise Annelie Voland zur Verfügung gestellt.
Danke Annelie, auf diesem Wege, für die Erwähnung auf deiner Seite „Bewegung und Sport bei Krebs“: https://www.facebook.com/plugins/post.php?href=https%3A%2F%2Fwww.facebook.com%2Fsportbeikrebs%2Fposts%2F730648790737192
Liebe Grüße
Darko
LikeLike
Spannend!
LikeGefällt 1 Person
Das empfand ich auch, als ich zum ersten Mal von diesem Projekt gehört hatte. Danke und liebe Grüße, Dario 🙂
LikeGefällt 1 Person