Untergegangene Welt [3.3]

In der neuesten Fortsetzung der Erzählung „Untergegangene Welt“ erfahren wir, wie es mit der Geschichte um Lyssea und Alrond weitergeht. Während Alrond und Wad einer Spur folgen, die sie in eine Höhle unter der Königsstadt Phoenixstein führt, begegnen Lyssea und Tuson auf ihrer Reise zur Kräuterkundigen einem seltsamen Fischwesen.

Die Erzählung „Untergegangene Welt“ ist der dritte Teil der Erzählung „Geschichten aus dem Blauen Nebelgebirge“.

Was bisher geschah

Untergegangene Welt 3.3

„Kannst du die Zeichen auf dem Steintor deuten?“, fragte Wad Alrond.
„Leider nein, ich kann diese Schrift nicht entziffern. Aber es könnte die Sprache des Königreiches Marâan sein.“
„Wer waren die Marâaner?“
„Wir wissen wenig über Marâanaer. Sie waren ein hochentwickeltes Volk. Sie gehörten unterschiedlichen religiösen Gruppen an, die jeweils eine andere Gottheit in Tierform angebetet hatten. Wir kennen nur Schildkröte und Albatros.“
„Das sind interessante Gottheiten …“
„Bekannt ist auch, dass sie eine Schrift hatten, als wir noch einfache Bildsymbolen kannte. Die letzten bekannten Aufzeichnungen sind mehr als 300 Jahre alt. Es gibt einige Ruinen, die aber nicht sehr aufschlussreich sind. Deswegen könnte dieses Tor wichtig sein.“ Alrond bückte sich und griff in seiner Hosentasche. Er holte eine Rolle und einen Stift hervor.
„Was machst du jetzt?“, fragte ihn Wad verdutzt.
„Ich habe immer eine kleine Papierrolle und einen Kohlestift in meiner Hosentasche. So kann ich mir Notizen machen.“
„Und wozu brauchst du sie?“
„Ich schreibe die Inschrift ab.“
„Haben wir Zeit dafür? Bisher haben wir weder Nahrung noch Trinkwasser gefunden. Außerdem sieht es hier nicht sehr vertrauenerweckend aus. Wir sollten schnell den Ausgang aus der Höhle finden.“
„Du hast Recht. Aber ich bin schon fertig“, sagte Alrond und rollte seine Schreibunterlage zusammen, „wir können weitergehen“.
Sie setzten ihren Weg fort. Der Höhlengang schlängelte sich immer tiefer. Sie hörten das Plätschern von Wasser. Sie folgten den Geräuschen. Es war ein kleines Rinnsal, das aus der Decke hinunterfloss.
„Wad, ich denke, es ist Trinkwasser.“ Alrond hielt seine Hand in den Strom. „Eine unterirdische Quelle. Die Temperatur ist angenehm kühl“.
„Zum Glück, ich habe schon seit einiger Zeit Hunger und Durst. Zumindest werden wir so nicht verdursten.“
„Ich weiß nicht, wie lange wir schon laufen“, stellte Wad fest, „aber ich bin schon müde“.
„Ja, du hast Recht, wir sind schon viel zu lange unterwegs. Ich denke, wir haben zwei Mahlzeiten ausgelassen. Ich habe völlig das Zeitgefühl verloren. Wir sollten uns damit abfinden, dass wir hier nicht so schnell rauskommen werden“, stellte Alrond fest.
„Ich würde vorschlagen, dass wir in der Nähe des Baches bleiben. Später können wir wieder Wasser trinken, bevor wir weitergehen.“
„So verlieren wir zwar unsere Spur, aber du hast Recht, Wad, wir sollten ausgeruht sein, bevor wir die Suche fortsetzen.“
Alrond und Wad richteten sich in einem Höhlengewölbe unweit der kleinen Quelle ein. Sie sammelten Moos, Gräser und Blätter, um ein Biwak aufzustellen.
„Ich denke, wir sollten abwechselnd Wache halten“, schlug Wad vor, „wer weiß, wo die Angreifer gerade sind“.
„Du hast Recht. Schlaf du zuerst. Du kannst mich dann später ablösen.“
Wad schlief einige Stunden auf dem provisorischen Bett. Alrond weckte ihn auf. Sie tauschten die Plätze.
Einige Zeit später berührte Wad Alrond an der Schulter.
„Wach auf!“
„Was ist passiert?“, Alrond rieb sich die Augen.
„Da ist jemand.“ Wad deutete mit dem Finger in einen der Gänge.
„Woher weißt du das?“
„Ich habe vorhin etwas gehört. Dann bin ich in die Richtung gegangen, aus dem das Geräusch gekommen ist. In einem Gewölbe in der Nähe saß jemand.“
„Bist du dir da sicher? War es nicht nur ein Schatten oder ein Tier?“
„Nein, das war eine Gestalt.“
„Gut, zeig mir die Stelle. Warum hast du mich nicht gleich geweckt?“
„Ich wollte zuerst sehen, was es war.“
„Gut, über deine Alleingänge sollten wir später reden.“
Die Höhle verengte sich. Wad und Alrond krochen mehrere Meter durch einen schmalen Gang. Die leuchtende Schicht war in diesem Bereich spärlich verteilt. Das Licht reichte gerade, um sich zu orientieren. Es roch modrig und von der Decke tropfte es.
„Gleich sind wir da“, versicherte ihm Wad, „im nächsten Raum habe ich die Gestalt gesehen.“
Sie stiegen aus dem Gang, der hüfthoch aus der Wand entsprang. Vor ihnen öffnete sich ein großer Raum, der in Halbschatten gehüllt war.
„Dort, in der Nische. Da ist die Person gegessen“. Wad zeigte auf eine Stelle unter einem Felsen. Darunter lagen eine Decke und eine Tasche.
„Jetzt ist er jedenfalls nicht mehr da“, stellte Alrond fest.
„Wo kann er bloß sein?“
„Seid gegrüßt, meine Herren!“, hörten sie eine männliche Stimme hinter sich sagen.

Szenenwechsel: Tuson und Lyssea

„Schnell weg hier!“, rief Tuson. Er schob Lyssea zur Seite.
„Was ist das?“
„Ich weiß es nicht, möchte es aber nicht näher erfahren.“
Sie wendeten die Pferde, die ängstlich wieherten. Das Tier sprang ihnen froschartig hinterher. Es war schneller als ihre Pferde. Tusons Stute bäumte sich auf, als ihn das Fischwesen mit seinen Klauen am Oberkörper streifte. Tuson schrie auf. Blut spritzte auf den staubigen Boden. Tusons Pferd sprang unruhig umher. Der Reiter verlor das Gleichgewicht.
„Tuson!“, rief Lyssea.
Das Tier sprang an die Stelle, wo Tuson hingefallen ist. Die Stute stand ihm in Weg. Der Wagenfahrer warf sich zur Seite. Er versuchte aufzustehen, fiel aber mit schmerzverzerrtem Gesicht wieder hin. Tusons Stute rannte schnaubend davon. Lyssea brachte ihren braunen Hengst mit äußerster Mühe unter Kontrolle.
Das fischköpfige Wesen drehte sich umständlich um. Es nahm Anlauf und riss sein Maul auf. Der Geruch war unerträglich. Lyssea ritt Tuson zu Hilfe. Er kroch mit letzter Kraft zu einem Felsen. Das Tier war schneller. Es stellte sich ihm in den Weg. Lyssea wendete ihr Pferd, um den Richtungswechsel des Fischwesens auszugleichen. Sie ritt von hinten heran und reichte Tuson die rechte Hand. Er ergriff sie mit beiden Händen.
„Halt dich gut fest!“, rief Lyssea zu Tuson. Sie zog ihn mit großer Anstrengung hoch. Der Wagenfahrer legte seinen rechten Fuß in den Steigbügel. Er setzte sich stöhnend hinter Lyssea.
Der Angreifer hüpfte mit seinen Hinterbeinen neben sie her. Der Boden erzitterte mit jedem Sprung. Immer wieder hob das Wesen den riesigen Fischkopf und röchelte bedrohlich. Sie sahen stets nur eines der beiden Fischaugen, dieses behielt sie fest im Blick.

Das ungelenke Tier hatte Mühe, ihnen zu folgen. Lyssea spornte ihren Hengst an, doch das ungewöhnliche Wesen folgte ihnen weiter. Lyssea blickte sich um.
„Ich versuche, ihn zu den Klippen zu locken. Ich habe eine Idee“, sagte sie zu Tuson. Er kämpfte gegen seine Erschöpfung an.
Das Fischwesen ließ sich nicht abschütteln. Lyssea ritt entlang des Abgrunds. Sie wartete, bis das Wesen nah an sie herantrat. In dem Moment brachte die Schreiberin ihr Pferd dazu, mit beiden Hinterbeinen nach hinten auszuschlagen. Mit voller Wucht traf es mit ihren Hufen die gepanzerte Seite das Fischwesens. Dieses jaulte erbärmlich auf und flog wie eine Schildkröte den Abhang herunter.
„Sehen wir uns deine Wunden an.“ Lyssea brachte das Pferd an einem Akazienbaum zum Stehen.
„Es ist nicht so schlimm“, stammelte der Wagenfahrer.
„Das werden wir gleich sehen.“ Tuson humpelte, Lyssea stützte ihn. Sie half dem Verletzten, sich zu setzen. Er lehnte sich an den Baumstamm an.
Sein Leinenhemd und die Hose waren auf der rechten Seite blutverschmiert. Lyssea hob das Hemd. Darunter klafften vier längliche Wunden. Blut quoll heraus.
„Wir müssen die Blutung stoppen.“
„Nimm mein Hemd dafür. Reiß es in lange Streifen auseinander.“
Lyssea zerriss das Kleidungsstück in fünf breite Steifen.
„So?“
„Ja, so kannst du die Wunden abbinden. Ich werde sie beim Reiten festhalten.“
„Wie weit ist es noch bis zur Kräuterkundigen? Sollen wir hier bleiben?“
„Nein, es ist nicht mehr weit bis zu Tessia. Sie kann mir am besten helfen.“
„Gut, dann reiten wir gleich weiter.“

Lyssea versuchte Tusons Stute wiederzufinden, doch ihre Suche blieb erfolglos. Nach einer kurzen Verschnaufpause setzten sie ihren Ritt fort. Tuson saß vor Lyssea und hielt sich am Pferd fest. Nach etwas mehr als einer Stunde erreichten sie eine Hütte. Davor arbeitete eine Frau im Garten. Die Bewohnerin ließ von ihrer Arbeit ab und blickte die Neuankömmlinge besorgt an.

„Ho! Ruhig!“. Lyssea brachte ihr Hengst zum Stehen.
„Was ist passiert?“ Tessia eilte zu ihnen. „Tuson?“
„Hallo meine Liebe. Keine gute Aufmachung, ich weiß.“ Er lachte schief.
Lyssea und die Kräuterkundige halfen ihm, vom Pferd abzusteigen. Tuson setzte sich stöhnen auf den Boden.
„Lass mich deine Wunden ansehen.“ Tessia hob die blutverschmierten Leinenstreifen hoch.
„Ja, das sieht nicht gut aus. Bringen wir ihn schnell in die Hütte.“

Hier geht es zur 4. Fortsetzung.

Titelbild: Unterirdische Schatten, Fotorechte: Dario schrittWeise

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