In der ersten Fortsetzung der Erzählung „Die Begegnung in den Ruinen“ betreten Alrond und seine Begleiter die Ruinenstadt Nahraan. Als sie die Stadt erkunden, treten ihnen zwei Wechselinge entgegen, die Alrond als Arzatoë und Gedan wiedererkennt. Plötzlich ergreift Alrond ein Schwindelgefühl.
Währenddessen reiten Lyssea und die Kräuterkundige nach Phoenixstein zurück. Unterwegs begegnen ihnen die Seelen der verlorenen Legion. Sie versuchen, ihnen zu entkommen.
Die Erzählung „Die Begegnung in den Ruinen“ ist der vierte Teil der Reihe „Geschichten aus dem Blauen Nebelgebirge“.
Was bisher geschah
- Geschichten aus dem Blauen Nebelgebirge: Übersichtsbeitrag
- Teil 3 – Untergegangene Welt 3.6
- Teil 4 – Die Begegnung in den Ruinen 4.1
Die Begegnung in den Ruinen 4.2
Lyssea und die Kräuterkundige sprangen auf ihre Pferde. Lyssea drehte sich um und sah die sechs leuchtenden Gestalten, die sie verfolgten. Sie liefen ihnen hinterher.
„Komm, seh sie nicht an, wir müssen hier weg!“ Tessia wendete ihr Pferd und gab ihm die Sporen.
„Los!“, spornte Lyssea ihr Pferd an.
Die sechs unheimlichen Soldaten folgten ihnen. Sie rannten nicht, doch sie waren flink und hielten problemlos mit der Geschwindigkeit der Pferde mit.
„Sie holen uns ein. Wie ist das möglich?“, rief Lyssea, um das Hufgetrappel zu übertönen.
„Wie gesagt, das sind keine gewöhnlichen Soldaten. Und jetzt weiter!“
Der Abstand zwischen der Verlorenen Legion und den beiden Reiterinnen wurde immer kleiner. Aus dem Augenwinkel sah Lyssea, wie die glühenden Augen sie unheimlich anstarrten.
„Ich weiß, wie wir sie abschütteln können. Folge mir.“
Lyssea ritt ihrer Begleiterin hinterher, die in eine enge Schlucht einbog. Als sie hinter einer Kurve verschwanden, sah Lyssea, dass sich vor ihnen der Weg in drei schmale Durchgänge teilte.
Lysseas Begleiterin zog ein Stoffsäckchen aus ihrer Umhängetasche. Sie holte eine Handvoll Pulver daraus und warf es hinter ihnen in die Luft. Sie sprach etwas, das Lyssea als einen Zauberspruch interpretierte.
Mit einer Handbewegung deutete die Kräuterkundige auf die rechte Passage.
Die Soldaten der Verlorenen Legion kamen in Sichtweite und blieben stehen.
„Was ist passiert? War das ein Zauber?“, fragte Lyssea.
„Ja, ich habe einen Täuschungszauber gesprochen.
„Du kannst zaubern?“, wunderte sich Lyssea.
„Nur einige kleine Sprüche.“
„Was hast du genau getan?“
„Die Soldaten werden mehrere Augenblicke verwirrt sein. Danach werden sie unsere Abbilder sehen, die links abbiegen werden. Sie werden ihnen folgen und das wird uns genug Zeit geben, uns in Sicherheit zu bringen.“
Sie setzten ihre Reise ohne weitere Zwischenfälle fort.
„Ich habe immer gedacht, dass es Magie nur in Märchen gibt“, sagte Lyssea nach einer Weile.
„Magie ist nur ein Wort, das Menschen für Dinge verwenden, die sie nicht oder noch nicht verstehen können.“
„Du kannst mir später erklären, wie du das gemacht hast. Jedenfalls vielen Dank, dass du die Soldaten getäuscht hast.“
„Noch sind wir nicht ganz aus der Sichtweite, aber wenn wir nach Dorran reiten, dann werden wir in Sicherheit sein. Dort sollten wir die Nacht verbringen und dann am nächsten Tag weiterreisen.“
„Gegen ein wenig Nachtruhe kann ich nichts einwenden. Das ist schon der zweite seltsame Zwischenfall, seitdem wir Phoenixstein verlassen haben.“
„In letzter Zeit passieren viele merkwürdige Dinge in der Gegend. Ich habe das Gefühl, dass der Vorfall in Phoenixstein damit zusammenhängt.“
„Ein Grund mehr, uns zu beeilen.“
„Wir werden bald in Dorran ankommen.“
Alrond wachte in einem kalten Raum auf. Er stellte fest, dass er festgebunden war. Jemand hatte ihm dicke Handfesseln angelegt. Sie waren mit einer Kette mit einem Metallring in der Steinwand befestigt.
Er richtete sich auf und blickte sich um. Alrond konnte sich zwar bewegen, doch weit kam er wegen der Metallkette nicht.
Wad und Sellur lagen mit geschlossenen Augen neben ihm. Wad schnarchte unbekümmert. Beide waren ebenfalls angekettet.
Alrond sah aus dem Fenster. Sie saßen in einem der Türme der unterirdischen Ruinenstadt fest. Vermutlich zwanzig Ellen über dem Boden. Aus dem Fenster springen kam nicht in Frage. Zumindest nicht, wenn man den Sprung überleben möchte. Er konnte über die Dächer der unterirdischen Stadt blicken. Er bemerkte, dass die riesigen Muschelschalen das Licht des Mondes reflektierten. Haben sie wirklich so lange geschlafen?
Der Raum war kalt und feucht. Die Steinwände waren kahl. Nur ein roter Läufer lag in der Raummitte.
„Wad, Sellur! Wacht auf!“
Seine Mitgefangenen bewegten sich nicht. Wad schnarchte unbeirrt weiter.
„Jetzt reicht’s! Das ist keine Zeit für ein Nickerchen.“ Alrond stieß Sellur und Wad mit dem Fuß.
Sellur wachte als Erster auf. „Was ist denn los? Wozu der Lärm?“ Er versuchte, sich zu bewegen, doch auch er kam nicht weit. Die Ketten klirrten.
„Seht euch nur um. Wir wurden ausgespielt.“
„Ohhh, was ist passiert?“ Wad wachte ebenfalls auf und betrachtete seine Fessel.
„Ich gehe davon aus, dass uns die beiden Wechsellinge überrumpelt haben.“
„Was, sie waren das?“, fragte Sellur verwundert.
„Ja, eure unschuldigen Kinderchen, die sich im Wald verirrt haben“, erwiderte Alrond sarkastisch.
„Ja, ja, du hast recht gehabt und wir nicht“, hielt Sellur entgegen.
„Mir geht es nicht darum, wer richtig lag. Dafür haben wir auch keine Zeit.“
„Wie haben sie uns überhaupt außer Gefecht gesetzt?“, fragte Wad.
„Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, das mir schummerig wurde. Vielleicht haben sie ein Schlafgift verwendet.“
„Wie kommen wir hier raus? Die Ketten scheinen sehr stabil zu sein.“ Sellur zerrte an seiner Kette.
„Am besten, wir finden eine Lösung, bevor Arzatoë und Gedan zurückkehren.
„Ich denke, wir sollten die Ketten aufbrechen.“ Sellur betrachtete seine Kette aufmerksam.
Alrond hörte, wie jemand einen Schlüssel im Türschloss umdrehte. „Ich befürchte, dafür haben wir jetzt keine Zeit.“
Fortsetzung folgt
Titelfoto: In einem Turm tief unter der Erde, Fotorechte: Dario Schrittweise
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