Jakobsweg „Cluny – Le Puy“: Cäsar, Lamas und Chomelix [5]

Der Schatten eines Adlers zeichnete sich auf dem breiten Weg ab, der sich durch den Wald schlängelte. Schritte vieler Menschen hallten durch die frühmorgendliche Stille. Ihre Ausrüstung erzeugte mit jeder ihrer Bewegung einen metallischen Widerhall. Auch Pferde folgten ihnen. Die schemenhaften Umrisse des Adlers schimmerten in den Lichtstrahlen der Morgenröte. Ein römischer Soldat mit einem Schuppenpanzer trug die Standarte mit dem Legionsadler. Aus dem Nebel tauchten weitere Soldaten auf. Durch den dichten Baumbewuchs erhellte das Licht den Weg und legte den Blick auf eine römische Kohorte frei. Dezimiert von der letzten Auseinandersetzung mit den Avernen, bewegten sich die römischen Soldaten auf den Gipfel Montarcher zu. Der Weg, den sie zurücklegten, wird noch Jahrhunderte nach ihnen den Namen ihres Anführers tragen, Chémin de César – „der Weg des Caesars“.

Römische Wege (Fotorechte: schrittWeise)

Wegweiser

Gesamtüberblick: Themenseite Jakobsweg
 

11. Etappe: La Chapelle-en-Lafaye – Usson-en-Forez

 

  • Datum: Dienstag, 13.06.17
  • Entfernung: ca. 15 Kilometer
  • Besonderheiten: mythischer Ort Monarcher, unterwegs auf uralten Pfaden, Pilgertreffen in Usson-en-Forez

Der Morgen in La Chapelle-en-Lafaye war an dem Tag nicht derart spektakulär wie am Vortag in Montarcher, der leichte Nebel verlieh ihm jedoch eine besondere Stimmung. Ich freute mich auf die Fortsetzung meiner Pilgerschaft und auf den Aufstieg, auf die letzten Kilometer, die noch zum Gipfel fehlten.

An jenem Dienstag im Juni nahm ich mir nur sehr wenige Kilometer vor, weil ich festgestellt habe, dass mir die Pilgerschaft zu schnell vorbei sein wird. Mein Zwischenziel Le Puy-en-Velay rückte immer näher. Ich nahm eine kleine Änderung an meiner Planung vor und gewann so eine zusätzliche Tagesetappe.

Bevor ich losgelaufen bin, traf ich noch Herrn Jolly, den „Herbergsvater“, der in der Pilgerherberge für Ordnung sorgen wollte, bevor am Nachmittag neue Pilger ankommen werden. Ich freute mich, dass ich mir an dem Tag Zeit gelassen habe, denn so konnte ich mich beim überaus freundlichen Gastgeber für diese tolle Unterkunft und seine Gastfreundschaft bedanken.

Im Garten beobachtete ein älterer Bewohner des Hauses den in Nebel getauchten Wald. Ich sprach ihn kurz an, weil wir bereits gestern einige Worte gewechselt haben. Er erzählte mir, dass er selbst vor Jahren den Jakobsweg gelaufen sei und er findet die französischen Jakobswege schöner als die Abschnitte in Spanien. Er erzählte mir noch ein wenig von seinen Erfahrungen als Pilger.

Auf dem Gipfel

Der Aufstieg von La Chapelle-en-Lafaye zum Montarcher war kurz und ich erreichte in ungefähr 15 Minuten den Gipfel. Der Morgennebel schränkte weiterhin die Sicht ein, ich genoss trotzdem die magische Stimmung, die sich sowohl beim Aufstieg als auch auf der Bergkuppe entwickelte.

Der Berg besaß schon im 5. Jahrhundert vor Christus eine strategisch wichtige Bedeutung. Er markierte die Grenze zwischen dem Gebiet Velay, dem Forez, einer ehemaligen französischen Provinz, und der Region Auvergne. Auvergne gehört seit der administrativen Reform im Jahr 2016 zur Region Auvergne-Rhône-Alpes.[1]

Die Region Auvergne bildet das Zentrum des französischen Zentralmassivs. Charakteristisch sind die erloschenen grünen Vulkane, die „Puys“, die bis 1900 Meter hoch sind. Die Averner bekleideten unter den gallischen Stämmen wichtige Posten. Ihr Fürst Vercingetorix führte die Gallier gegen Cäsar an. Der Jakobsweg durchquert die Auvergne nur im südlichen Department Haute-Loire.[2]

Der Berg Montarcher ist die höchste Stelle auf dem Jakobsweg zwischen Straßburg und Le Puy und wahrscheinlich bisher die höchste Stelle auf meinem Jakobsweg. Ich habe gelesen, dass mich noch einige höhergelegene Orte auf dem Jakobsweg erwarten.

Auch die romanische Kirche übt eine besondere Faszination aus. Sie stammt aus dem 12. Jahrhundert und hat einen bogenförmigen Eingang mit Stufen. Die Akustik ist beachtlich, im Sommer finden in der Kirch Konzerte statt. Wenn der Kirchenbesucher wieder ins Freie tritt, breitet sich vor ihm eine beeindruckende Kulisse aus. Bei guter Sicht ist sogar Mont Blanc erkennbar. Leider hatte ich an dem Tag in dieser Hinsicht Pech, weil der Vormittag neblig war.

 

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Bildergalerie: Manuelle Navigation mit Pausen- und Pfeiltasten

Auf den Spuren Cäsars

Kurz nach Montarcher, in Egarande, teilt sich der Jakobsweg. Links führt die alte Streckenführung entlang des Wanderweges GR3 über Retournac und die Schluchten der Loire nach Le Puy-en-Velay, während rechts der etwas neuere Weg über Usson-en-Forez und Saint-Paulien die Strecke um etwa 20 Kilometer abkürzt. Ich habe mich für die neuere Strecke entschieden, nicht nur, um schneller ans Ziel zu kommen, sondern auch, weil ich über die Voie Bolléne und Chemin de César laufen wollte. Voie Bolléne ist ein Weg der Kelten und Römer, so genannt, weil die Entfernungen mit militärischen „Meilensteinen“ markiert waren, den bornes militaires. Chemin de César, Cäsars Weg, geht auf die römische schnelle Verbindungsstraße zwischen Lyon, Aquitanien und Spanien zurück.[3]

Der Weg teilt sich, Hinweis für Pilger (Fotorechte: schrittWeise)
Der Weg teilt sich, Hinweis für Pilger (Fotorechte: schrittWeise)

Pilgertreffen in Usson-en-Forez und Nacht unter dem Vulkan

In dieser Gegend haben die Städte und Dörfer malerisch klingende Namen. Sie heißen Retournac, Daniecq, Alpinac, Pilhac oder Chomelix und erinnern an eine ferne und stolze Vergangenheit. Die Namen scheinen Geschichten von heldenhaften Kriegern und weisen Keltenpriestern zu erzählen.

 

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Nach ungefähr drei Stunden erreichte ich Usson-en-Forez, mein Tagesziel. Ich machte eine Pause im Café am Kirchenplatz und traf darin die Gruppe der fünf Deutschen wieder. Ich gesellte mich zu ihnen. Später kamen auch Daniel und Huck vorbei, ich sprach sie nur kurz, weil sie zu ihrem Zeltplatz weiterliefen. Angela bestellte einen Espresso und die Cafébesitzerin sagte etwas launig, wir sind hier in der Auvergne, hier trinke man „Café“ und sonst nichts.

Da ich noch etwas Zeit bis zum vereinbarten Treffen mit meinem heutigen Gastgeber hatte, schaute ich mich im kleinen Städtchen um. Später kamen weitere Pilger hinzu, Heinz und Jupp sowie andere Pilger, Wolfgang und Frank. Wie es sich herausstellte, hatte Frank Geburtstag und wir stoßen mit ihm im Café an. Ich wollte französisches Bier bestellen, sie hatten jedoch nur deutsches Bier, Erdinger. Ich musste an die Dame mit ihrem „avernischen Café“ denken. Ganz konsequent sind die Averner dann doch nicht.

Treffen der Pilger (Fotorechte: schrittWeise)

Am späten Nachmittag holte mich mein Gastgeber, Herr Vrai, vor der Ortskirche ab und wir fuhren zunächst gemeinsam in einen Supermarkt, um die Lebensmittel für das heutige Abendessen einzukaufen, weil Herr Vrai vorher keine Gelegenheit dazu hatte. Er war sogar so freundlich, mir eine Tube Handwaschmittel für meine Wäsche zu kaufen.

Das Haus von Herrn und Frau Vrai liegt in Chaturanges, einem Dorf ein wenig außerhalb des Weges, und deshalb nahm mich Herr Vrai mit seinem Auto mit. Chaturanges liegt am Fuße eines erloschenen Vulkans, eines kleinen Puys. Die Wolken zogen sich zusammen und ein Unwetter bahnte sich an. Ich konnte am Abend noch einige Bilder vom Sonnenuntergang fotografisch festhalten. Herr und Frau Vrai aßen mit mir gemeinsam zu Abend, während draußen der Wind die Regentropfen gegen die Fensterscheiben peitschte.

Bedeutende Orte auf dem Weg

  • Montarcher (1,5 km)
  • Les Granges (1 km)
  • Usson-en-Forez (12 km)
Abendstimmung am Vulkan (Fotorechte: schrittWeise)

12. Etappe: Usson-en-Forez – Chomelix

 

  • Datum: Mittwoch, 14.06.17
  • Entfernung: 22 km
  • Besonderheiten: nettes Café in Pontempeyrat, Regen im gallischen Ort Chomelix und Lamas

Am kommende Morgen strahlte unter dem Vulkan wieder die Sonne. Das abendliche Unwetter sorgte scheinbar für die sprichwörtliche klärende Wirkung. Herr Vrai fuhr mich mit seinem Wagen wieder nach Usson-en-Forez, zum Kirchplatz. Er bot mir komplizenhaft lächelnd an, mich nach Pontempeyrat zu fahren, damit ich einige Kilometer sparen kann, ich lehnte jedoch lachend ab. Wir verabschiedeten uns und ich lief los.

Morgen in Chaturanges (Fotorechte: schrittWeise)

Gedanken über das Pilgern

Auch die heutige Etappe war einfach. Ich habe beschlossen, keine Hektik aufkommen zu lassen. Pilgern ist für mich kein Sport und ich muss nicht täglich über 30 Kilometer laufen. Ich würde es schaffen, insbesondere nach mehreren Tagen Training, die ich hinter mir hatte. Ich fragte mich jedoch: „wozu“? Pilgern würde ich in zwei Aspekte trennen: in eine sportlich-körperliche und eine geistig-spirituelle Ebene. Wir Pilger sollten uns fragen, welcher der beiden Aspekte ist uns wichtiger? Oft erlebe ich, wie Pilger an ihre körperlich Leistungsgrenze gehen. Ab 25 Kilometern finde ich es mit dem Gepäck anstrengend, ab 30 Kilometern wird es schon kritisch. Je nach Witterungsbedingungen, Höhenmetern und Tagesform können diese Werte bei mir ein wenig abweichen. Die zweite Ebene finde ich wichtiger. Wenn ich schnell sein will, melde ich mich beim nächsten Marathon an.

Letzter Blick auf Usson-en-Forez (Fotorechte: schrittWeise)

Boulangerie in Pontempeyrat und Cäsars Weg

Nach 7 Kilometern kam ich in Pontempeyrat an, einem Stadtteil von Usson-en-Forez. Ich machte in der örtlichen Boulangerie (Bäckerei) eine kurze Rast, weil ich wusste, dass ich für die kommenden 15 Kilometer keine weiteren Lebensmittelgeschäfte finden würde. Auf der Dachterrasse machte sich ein Hund bequem und wunderte sich wahrscheinlich warum wir Menschen derart merkwürdige Sachen tun, indem wir mit 9-Kilogramm-Rücksäcken durch die Gegend laufen. Er zog seinen gemütlichen Liegeplatz vor. Insbesondere bei dem heißen Wetter.

 

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Der Jakobsweg verlief weiterhin auf dem Chemin de César, dem Weg des Cäsars. Typisch für die römische Straßen waren ihre Breite und die seitlichen Entwässerungsgräben. Ich schätze jedoch, dass Cäsars Weg eher als eine Einbahnstraße konzipiert wurde.

Regen und Lamas in Chomelix

Im Laufe des Tages änderte sich das Wetter zusehends. Auf den letzten Kilometern fing es zu tropfen an. Ich erreichte jedoch mein Tagesziel, Chomelix, noch vor dem Regen. Das Dörfchen ist aber so klein, dass sie schon am Nachmittag die Bürgersteige hochklappen. Die Franzosen machen eben auch gerne Siesta. Chomelix habe ich im Gespräch mit anderen Pilgern gerne als „Schummelix“ ausgesprochen. Den Namen finde ich nach wie vor witzig.

Gegen 17 Uhr ging ich dann wie vereinbart zu meinen Gastgebern. Zunächst habe ich die Dame am Telefon nicht verstanden, als sie sagte, wenn ich sie nicht finden kann, soll ich nach „La Mars“ fragen, wie ich sie zu verstehen glaubte. Ich habe mir den Kopf zerbrochen, was sie damit meinen könnte: „Fragen Sie nach der Frau mit La Mars.“ Später verstand ich, dass sie Lamas meinte. Solche Missverständnisse können im internationalen Austausch entstehen. Ohne derartiger Geschichten wäre es auch langweilig.

 

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Bildergalerie: Manuelle Navigation mit Pausen- und Pfeiltasten

Meine Gastgeber waren wieder sehr freundlich und zuvorkommend. Die Lamas und der fröhliche Hund waren auch goldig. Insgesamt fallen mir bisher kaum Unterkünfte auf dem Jakobsweg ein, in denen ich schlechte Erfahrungen gemacht hätte.

Langsam näherte sich mein Jakobsweg auf der Strecke zwischen Cluny und Le Puy-en-Velay dem Ende zu. Jetzt konnte ich die Tagesetappen auch nicht mehr verlängern, in zwei Tagen sollte ich mein Zwischenziel erreichen. Ich fasste auch den Entschluss, im September die Via Podiensis anzufangen, den Jakobsweg zwischen Le Puy-en-Velay und Spanien.

Bedeutende Orte auf dem Weg

  • Pontempeyrat (7 km)
  • Chomelix (15 km)

 

Quellenangaben

[1] Florl, Renate: „Französischer Jakobsweg. Von Straßburg bis Le Puy-en-Velay“, Rother Wanderführer, München 2009, S. 191
[2] Florl, S. 195
[3] Florl, S. 214

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