„Wir alle spielen Theater“, lautet der berühmte Buchtitel von Erving Goffman (1922 – 1982). Darin beschreibt der kanadische Soziologe das menschliche Verhalten mit der Metapher des Theaters. Seiner Theorie zufolge spielt jeder Mensch in einer anderen Situation eine spezielle Rolle, die er in diesem Augenblick glaubt, einnehmen zu müssen. Die Rollenwahl kann bewusst oder unbewusst erfolgen. Sie wird vom Publikum beeinflusst. Obwohl dieser Klassiker der Soziologie bereits etwas älter ist, hat es bis heute nichts an seiner Aktualität verloren, wie ich finde. Auch Shakespeare bezeichnete die Welt als eine Bühne, mit Menschen als Spielern.
Wir spielen alle unsere Rollen, sei es die des Vaters, der Tochter, der Ehefrau oder des ehrenamtlichen Trainers im Kegelverein. Die Rollenwahl hat auch im Berufsleben eine wichtige Bedeutung. Hier sind wir Teamleiterin, der Arbeitnehmer, die Ärztin oder der Koch. Unsere Freizeitaktivitäten sind auch unsere Rollen, da sind wir Angler, Bildhauerin oder Volleyballspieler.
Doch welche dieser Rollen ist die Rolle unseres Lebens? Welche Rolle macht uns wirklich aus? Gibt es nur eine Rolle oder sind es mehrere? Und noch wichtiger: wer entscheidet darüber, welche Rolle am wichtigsten in unserem Leben ist? Je nach Blickwinkel fallen die Antworten wohl anders aus. Für das Finanzamt sind wir beispielsweise die Taxifahrerin, für den Vorgesetzten eine Mitarbeiterin, für den Partner die Ehefrau.
In vielen Fällen wird in der heutigen Gesellschaft diejenige Tätigkeit, mit welcher wir tagtäglich unser Geld verdienen, unsere Hauptrolle ausmachen. Wenn wir uns anderen Menschen vorstellen, dann nennen wir meistens unseren Beruf, um uns mit wenigen Worten zu beschreiben. Das wird auch meistens von uns erwartet. So können uns Menschen leichter gedanklich kategorisieren.
Stellen wir uns diese fast alltägliche Situation vor: Wir sind auf einer Party, lernen neue Menschen kennen. Wir begrüßen uns und stellen uns jeweils vor: „Guten Tag, ich heiße Kurt und ich bin ein Briefmarkensammler.“ Bald wird vom Gesprächspartner die Frage nach dem Beruf kommen. Nach einer Beschäftigung, mit welcher wir Geld verdienen. Doch müssen wir uns immer über eine Tätigkeit definieren, mit der wir unseren Lebensunterhalt bestreiten? Stellen wir uns bei der nächsten Gelegenheit mit einer Rolle vor, die in unserem Leben keine Verbindung zum Finanziellen hat.
Ich denke, jede(r) muss diese Frage für sich beantworten, es gibt keine allgemeingültige Lösung. Wer möchte, kann seine „Rolle des Lebens“ darüber definieren, was beispielsweise in seiner Steuererklärung, seinem Arbeitsvertrag oder in seinem Gesellenbrief steht. Vielleicht stimmt das Gefühl damit überein, vielleicht auch nicht. Vielen gelingt es sprichwörtlich, ihr Hobby zum Beruf zu machen. Wer mag, könnte seine zwischenmenschliche Rolle, als Elternteil oder als Partner zum Beispiel, für sich als die wichtigste betrachten. Oder eine der Leidenschaften, womit er oder sie eben kein Geld verdient.
Was für mich dabei am wichtigsten ist, ist der Gedanke, dass jeder Mensch für sich selbst entscheiden kann, welche Rolle ihn ausmacht und dies nicht anderen Menschen oder eine Behörde überlassen sollte. Jeder muss sich selbst bewusst sein, welche Rolle die prägendste in seinem Leben ist.
Titelfoto
"Die Lebensbühne", Fotorechte: Dario schrittWeise
Hallo Dario, das ist eine sehr gute Frage: “Welche Rolle ist die Rolle useres Lebens?“ Auf einem Formular soll man sich z.B. als „Rentner“ bezeichnen. Ist das wirklich die einzige Rolle, die mir noch zugetraut wird? Oder: bin ich noch „nur“ ein Kind ? Wenn ich ein Kind bin, ist meine Lebensrolle schon vorher von meiner Umgebung festgelegt? Hier denke ich an die Worte von Albert Einstein: “Jeder ist ein Genie!“ Aber wenn du einen Fisch danach beurteilst, ob er auf einen Baum klettern kann, wird er sein ganzes Leben glauben, dass er dumm ist. Ist meine Rolle „dumm zu sein“, nur weil meine Umgebung meine Fähigkeiten falsch eingeordnet hat? Entscheidend nicht! Ich darf versuchen genau so zu sein, wie ich spüre, dass ich bin. In diesem Fall ist meine Rolle echt und überzeugend.
Danke dir Dario für diesen interesanten Beitrag und ein wunderschönes Foto. (Auch sehr aktuell).
LG, Sophie Mai
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Hallo Sophie, ein guter Gedanke. Am Ende dreht sich die Entscheidung auch um die Frage, ob die entscheidende Rolle unseres Lebens mit dem Geldverdienen zu tun haben soll oder nicht. Wie so oft in unserer Gesellschaft. Auch diese Frage sollte jeder für sich beantworten. Der Vergleich mit dem Fisch gefällt mir sehr gut 🙂 Liebe Grüße und einen schönen Tag, Dario
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Geliebter Dario,
wie schön diese tiefsinnige Betrachtung hier zu lesen. Deine Gedanken haben mich angeregt, noch tiefer zu fühlen und mich daran zu erinnern, wie man als Kind einfach Kind war und nur im Spiel sich Rollen wählte, bei denen stets das Bewusstsein dafür präsent war, dass man dies nicht wirklich ist. All diese Rollen ist man auch heute nicht. Sonst könnte man diese nicht von Moment zu Moment abstreifen – grad so wie einen Mantel, der zu eng geworden ist. Dankeschön für diesen Beitrag, er hat mein Herz erfreut.
Fühlbare Grüße
Luxus
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Hallo Luxus, ich denke, es ist wichtig, seine Rolle im Leben selbst für sich zu definieren. Zu oft lassen wir uns von äußeren Umständen beeinflussen und in bestimmte gesellschaftlichen Schubladen stecken. Danke dir Luxus, für deine lieben Worte. Alles Gute dir, Dario 🙂🍀🐞🍁🍂
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Da stimm ich dir zu, geliebter Dario, wer könnte uns auch sagen, wer wir wirklich sind, außer jener Stimme in uns, die innerlich umarmt. 🍀🐞🍁 Danke für die Wünsche, mögen sie für uns alle erfüllt sein. 🙂
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Ja, diese Stimme sollten wir nicht ignorieren. Danke dir, liebe Grüße, Dario 🙂
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