In der Siedlung Nebelheim angekommen, bringen Alrond und Tuson den beschädigten Pferdewagen zum Schmied und suchen die Heilerin auf. Danach kehren sie in die Dorfschenke ein. Dort setzen sie sich an den Tisch zu ihren Reisegefährten Ysella und Gelas. Im Hintergrund werden sie von einer Dorfbewohnerin beobachtet.
Was bisher geschah
- Geschichten aus dem Blauen Nebelgebirge: 1. Fortsetzung
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- Geschichten aus dem Blauen Nebelgebirge: 4. Fortsetzung
Geschichten aus dem Blauen Nebelgebirge – eine fantastische Erzählung, 5. Fortsetzung
Der Wirt kam auf sie zu: „Was wünschen die Herren?“
„Für mich ein Bier“, sagte Tuson.
„Haben Sie Met?“ fragte Alrond.
„Oho, der feine Kerl trinkt nur das Beste“, warf Gelas zwinkernd ein.“
„Ja, Ingwermet aus Phoenixstein“, bestätigte der Wirt.
„Den nehme ich gerne“, sagte der Schreiber.
Die junge Frau, die sie längere Zeit von einem Nebentisch aus schüchtern beobachtet hatte, stand auf und kam auf sie zu.
„Guten Abend, entschuldigen Sie bitte die Störung“, unterbrach sie zaghaft ihre Unterhaltung, „dürfte ich mich kurz zu Ihnen setzen? Ich möchte Sie etwas fragen.“
„Ja, gerne“, erwiderte Ysella, „wir haben ohnehin keine wichtigen Themen zu besprechen. Nicht wahr, meine Herren?“ Sie sah dabei ihre Mitreisenden herausfordernd an.
„Sicher“, bestätigte Alrond, „setzt dich dazu. Und du kannst uns natürlich duzen.“
„Ich heiße Danea“, stellte sie sich schüchtern vor, nachdem sie sich auf den freien Platz hingesetzt hatte.
„Hallo, wir sind Tuson, Gelas, Alrond und ich heiße Ysella.“
„Angenehm. Ich arbeite in Nebelheim auf dem Hof meiner Familie. Aber was ist mit euch passiert? Ihr habt überall Verbände und Blätterwickel. Auch eure Kleidung hat viele Löcher und Risse.“
Alrond sah unwillkürlich an seinem grünen Wollumhang herunter, wo ein Riss in seiner Leinenhose klaffte. Die Heilerin versorgte seine Verletzungen, doch die Wunde im Oberschenkel schmerzte immer noch.
„Wir wussten auch gerne, wie es genau dazu gekommen ist“, holte Tuson aus. Der Wagenlenker erzählte Danea wortkarg von ihrer Reise, der Steinlawine in der Schlucht und ihrer Ankunft im Dorf. Ysella und Gelas fielen ihm immer wieder lachend ins Wort und schmückte seinen trockenen Bericht aus. Danea hörte ihnen gebannt zu.
„Solche Unfälle passieren in den Nebelgebirgen schon seit einigen Monaten“, unterbrach die junge Frau die eingesetzte Stille, „Leute verunglücken oder verschwinden. Niemand weiß warum.“
„Unsere Geschichten sind aber bestimmt nicht der Grund, warum du dich an unseren Tisch setzen wolltest. Habe ich recht?“ fragte sie Alrond freundlich.
„Ja, da haben sie … da hast du recht. Beleor, der Wirt, hat mir gesagt, dass ihr mit dem Pferdewagen auf der Durchreise nach Phoenixstein seid“, antwortete Danea.
„Das stimmt“, bestätigte Tuson knapp. Die Tischgesellschaft lauschte gespannt, was Danea weiter sagen wird.
„Die Arbeit auf dem Bauernhof gefällt mir nicht. Ich würde so gerne in Phoenixstein leben.“
„Das wollen viele“, bestätigte Alrond, „aber das Leben in der Hauptstadt unseres Königsreiches ist auch nicht so einfach, wie du es dir vielleicht vorstellst.“
„Das mag sein, aber es ist besser, als hier zu bleiben“, sagte Danea schüchtern. „Deswegen wollte ich euch fragen, ob ich mit euch in die Stadt fahren darf. Ich habe nicht viel Geld, aber ich habe lange für diese Gelegenheit gespart.“
„Wird dich denn deine Familie nicht vermissen?“ wollte Ysella wissen.
„Vielleicht ein wenig“, Daneas Gesicht verdüsterte sich kurzzeitig, ihre Gesichtsmuskeln verspannten sich. Sie lächelte verlegen.
„Ja, sie werden mich bestimmt vermissen. Aber ich werde es ihnen heute erklären. Dann werden sie es verstehen.“
Alrond betrachtete die junge Dorfbewohnerin nachdenklich, während die Tischgemeinschaft das Thema wechselte. Danea lachte zwar häufig über die Scherze ihrer neuen Bekanntschaften, Alrond bemerkte aber eine Traurigkeit, die wie ein Schleier über ihrem Gesicht lag.
„Wir nehmen dich morgen mit, aber klär das bitte zuerst mit deiner Familie. Nicht, dass es am Ende Ärger gibt“, beschloss Tuson nach einiger Bedenkzeit. „Wegen der Bezahlung können wir später reden. Ich werde dich nicht noch ärmer machen, keine Sorge.“
„Danke, das ist sehr freundlich.“
„Natürlich brauchen wir noch Platz“, überlegte der Wagenfahrer, „Gelas, könntest du bitte bis morgen einige deiner Waren loswerden? Du hast den meisten Platz besetzt.“
„Ja und dafür haben ich auch am meisten für die Fahrt bezahlt“, beschwerte sich der Händler, „aber mehrere Fässer wurden ohnehin in der Schlucht beschädigt. Ich werde morgen zum Markt gehen. Dort kann ich sehen, was ich verkaufen kann.“
„Vielen Dank, ihr seid alle so freundlich zu mir.“
„Genieße es, solange wir noch entspannt sind“, Ysella zwinkerte ihr zu.
„Liebe Freunde, es ist schon sehr spät geworden“, bemerkte die junge Bewohnerin von Nebelheim ernst, „der Abend hat mir großen Spaß gemacht, aber ich sollte jetzt wirklich nach Hause gehen. Ich muss noch zu Hause von meinen Plänen erzählen und packen.“
„Du hast recht“, pflichtete ihr Gelas bei, „du hast noch etwas zu tun. Wir warten dann morgen nach dem zweiten Tempelschlag beim Nordtor auf dich.“
Die Tischgesellschaft unterhielt sich noch einige Minuten, zahlte die Rechnung und verabschiedete sich schließlich voneinander.
Die Schlafunterkünfte befanden sich in einer Hütte neben der Taverne. Die einzelnen Schlafplätze waren nur durch dünne Holzwände voneinander getrennt. Alrond hörte jemanden in einer der Nachbarnischen schnarchen. Er setzte sich an den Rand seines Strohbettes. Er atmete erleichtert auf, als er seine Schuhe ausgezogen hatte.
„Welch‘ ein Tag“, dachte er sich, „endlich ist er vorbei.“ Der zunehmende Sichelmond erhellte das Innere. Alrond betrachtete seine Wunden. Er holte seinen grauen Reisesack aus grobem Stoff unter dem Bett hervor, betastete ihn kurz und schob ihn wieder zurück.
„Alles ist noch da“, dachte er erleichtert.
Der Chronist legte sich auf sein Bett. Von hier sah er einige Minuten durch die kleine Öffnung in der Wand. Müde schlief er ein.
Ein Hahn weckte Alrond aus seinem tiefen Schlaf. Er gähnte und streckte sich. Nach wenigen Minuten war er abreisebereit. Er nahm seinen Reisesack. Gelas lag noch schnarchend in seiner Schlafnische, die anderen waren nicht mehr in der Hütte.
Als Alrond die Unterkunft verließ, sah er, dass der Regen den Boden völlig aufgeweicht hatte. Seine Lederstiefel machten schmatzende Geräusche, als er sich den Weg durch den Schlamm bahnte. Er fluchte innerlich. An einigen Stellen lief er über dünne Holzbretter, mit welchen jemand Teile der Pfade bedeckt hatte. Eine schwarz-weiße Katze betrachtete ihn neugierig von einer Türschwelle.
Die Siedlung erwachte langsam zum Leben. Die ersten Handwerker und Verkäufer begannen ihr Tagwerk. Eine Schafhirtin führte ihre kleine Herde an ihm vorbei. Alrond zählte an die sieben Schafe. Ein zottliger, dunkelbrauner Hund lief fröhlich um die Schafe herum, mit seinem Schwanz wedelnd.
Vor dem Guenea-Tempel stand ein grauhaariger Mann, der eine grüne Robe trug. Er musterte Alrond neugierig. Der Mann schien sich auf etwas vorzubereiten. Der Tempel ist ein rundes Gebäude mit acht Säulen rund um die grün-gelbe Außenwand.
„Guten Morgen, Fremder, möge Guenea, unsere Hüterin des Waldes und des Lichts, dich auf deiner Reise schützen“, sagte der Mann freundlich.
„Guten Morgen, Herr Tempelwächter“, erwiderte der Angesprochene höflich, „danke, das kann ich gut gebrauchen. Einen schönen Tag noch.“
Der Mann verbeugte sich leicht, lächelnd: „Danke, das wünsche ich dir ebenfalls.“
Der Mann betrat den Tempel. Wenige Augenblicke später erklang die Tempelglocke, die erste des Tages.
Alrond traf Ysella und Tuson beim Schmied. Sie unterhielten sich bereits angeregt mit dem noch verschlafen wirkenden Mann. Sein Gehilfe brachte den reparierten Pferdewagen vor die Tür der Schmiede. Er zog an den Riemen, um die Zugpferde anzuhalten. Der Pferdewagen sah viel besser aus. Sogar eine hellbraune Plane überspannte wieder den Wagen.
Sie bedankten sich beim Schmied und seinem Helfer. Tuson holte ein Biberfell, das am Bund seiner Leinenhose befestigt war. „Hier ist das vereinbarte Fell. Einer meiner Fahrgäste ist ein Händler, er war gestern so großzügig, mir ein Fell zu überlassen.“
„Vielen Dank“, erwiderte der Schmied, nachdem er die Qualität des Biberfells überprüft hatte.
Ein Mann in seinen späten Sechzigern gesellte sich zu ihnen, bevor sie auf den Wagen gestiegen sind. Seine braunen, lockigen Haare umrahmten sein Gesicht, sie verliehen ihm einen freundlichen Eindruck. Der Mann trug einen braunen Lederwams.
„Guten Tag, werte Damen und Herren“, begrüßte er sie feierlich, „mein Name ist Rohan und ich bin der Ortsvorsteher unserer bescheidenen Siedlung.“
Nachdem sich die Angesprochenen ebenfalls vorgestellt hatten, fuhr er fort:
„Ich habe gehört, dass sie uns heute wieder verlassen werden.“
„Das nenne ich vielleicht eine effiziente Gerüchteküche“, lachte Ysella.
„Der Tavernenbesitzer ist mein Schwager“, stellte Rohan ruhig fest.
„Das war doch klar, hier ist doch jeder mit jedem entweder verwandt oder verschwägert“, stichelte Ysella.
„Nun ja, fast“, der Ortsvorsteher räusperte sich, „warum ich eigentlich hier bin, ist, dass ich euch drei Soldaten als Geleitschutz anbieten möchte. Sie würden euch bis Phoenixstein begleiten.“
„Das ist eine gute Idee“, sagte Alrond.
„Ich habe mir gedacht, es wäre besser, wenn ihr nicht alleine weiterreisen musst. In Anbetracht der aktuellen Situation, meine ich.“
„Wir können ihre Hilfe gut gebrauchen“, sagte Tuson dankbar.
Am Nordtor warteten die drei versprochenen Soldaten bereits. Sie saßen auf Pferden, bereit sofort loszureiten. Die Reiter waren bewaffnet und trugen Lederrüstungen. Ihre Gesichter waren unter den Helmen kaum erkennbar, doch Alrond erkannte einen der drei. Sie sind ihm gestern am anderen Tor begegnet.
„So sieht man sich wieder“, der Mann lächelte spöttisch. Der Soldat kaute wieder schmatzend an einem Zweig. Die anderen Reiter sahen sich ungeduldig und gelangweilt um.
Der zweite Glockenschlag ertönte.
„Danea ist noch nicht da“, stellte Gelas wenige Augenblicke später fest, „vielleicht kommt sie gar nicht.“
„Gestern wirkte sie noch sehr entschlossen“, sagte Tuson von seiner Fahrerbank aus.
„Sollen wir noch warten oder ohne sie losfahren?“ fragte Ysella.
„Ich bin nicht sicher, aber gestern habe ich Angst gespürt, als Danea über ihre Familie gesprochen hat“, sagte Alrond, „ich glaube, wir sollten zumindest kurz bei ihr nachsehen. Im besten Fall hat sie sich anders überlegt und wir können danach beruhigt unsere Reise fortsetzen. Wer möchte mit mir kommen?“
„Gute Idee, ich komme gerne mit“, sagte Ysella.
„In Ordnung, dann warten wir hier auf euch, zwei Personen sind genug. Wir wollen sie ja nicht überfallen“, sagte Tuson.
„Wir werden gleich wieder zurückkommen. Es wird nicht lange dauern, in der kleinen Siedlung das Haus von Daneas Familie zu finden.“
Ysella und Alrond stiegen vom Wagen und verschwanden hinter den Hütten der Siedlung.
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Titelfoto: "In der Dorfschänke", Fotorechte: Dario schrittWeise
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