Geschichten aus dem Blauen Nebelgebirge [1.6]

In der Nebelheimer Taverne lernten Alrond und seine Mitreisenden Danea kennen. Sie vereinbarten mit der jungen Dorfbewohnerin, sie nach Phoenixstein mitzunehmen. Nachdem Tuson und Ysella den Pferdewagen beim Dorfschmied abgeholt hatten, kam der Ortsvorsteher von Nebelheim zu ihnen, um ihnen drei Reiter als Begleitschutz anzubieten. Als Danea nicht zum vereinbarten Treffpunkt erschienen ist, beschlossen Alrond und Ysella zu ihr zu gehen, um nachzusehen, ob alles in Ordnung sei.

Was bisher geschah

Geschichten aus dem Blauen Nebelgebirge – eine fantastische Erzählung, 6. Fortsetzung

Eine Gemüsehändlerin mittleren Alters sortierte ihre Waren vor ihrer Haustür. Sie trug ein rotes Kleid, ein ockerfarbener Strohhut bedeckte ihre blonden Haare. Die Frau summte ein fröhliches Lied. Ysella und Alrond gingen auf sie zu.

„Guten Morgen, werte Frau“, begrüßte Ysella die Verkäuferin freundlich.
„Guten Morgen, guten Morgen, suchen sie etwas Bestimmtes? Ich habe frische Auberginen, köstliche Kohlrabi …“
„Entschuldigen Sie bitte, das sieht alles sehr lecker aus, aber wir suchen jemand“, wechselte Alrond das Thema.
„Sie suchen jemanden? Wen denn? Den verlorenen Geist euerer Jugend?“ die Verkäuferin kicherte.
„Hm, vielleicht, aber nicht heute“, erwiderte Alrond ruhig, „wir suchen Danea.“
„Ach ja, die arme Danea, sie erlebt gerade schwere Zeiten.“ Die Miene der Gemüseverkäuferin verdüsterte sich.
„Wieso das? Stimmt etwas mit ihrer Familie nicht?“ wunderte sich Ysella.
„Pah, Familie? Eine feine Familie ist mir das! Aber wer bin ich, um zu urteilen?“
„Was ist da los?“ Alrond hakte besorgt nach.
„Ich habe schon viel zu viel gelästert. Es steht mir nicht zu! Es steht niemand zu, über andere zu urteilen.“
„Hmm, das werden wir sehen“, Alrond ließ sich nicht so leicht überzeugen.
„Warum wollt ihr sie sprechen?“
„Sie wollte mit uns nach Phoenixstein fahren. Leider ist sie nicht zum vereinbarten Treffpunkt gekommen. Alrond und ich wollten nur nachsehen, ob alles in Ordnung ist.“
„In Ordnung? Das kann ich leider nicht bestätigen. Aber, wie gesagt …“
„… sie wollen nicht über andere Urteilen. Und, wo können wir sie finden?“
„Nun, sie wohnt gar nicht so weit weg. Danea wohnt mit Eson, ihrem Ehemann, in der Hütte neben dem alten Bäcker.“
„Danke, ich weiß, wo das ist. Ich habe mich gestern mit der Gesellin unterhalten“, erinnerte sich Ysella, „wir finden sie. Einen schönen Tag.“
„Einen entspannten Tag. Den könnt ihr gebrauchen, habe ich den Eindruck. Und grüßt mir Danea herzlich.“

Ysella und Alrond fanden schnell die Hütte von Danea und Eson. Noch bevor sie in die Nähe kamen, hörten sie einen Mann schreien.

„Nein, du dumme Kuh, natürlich lasse ich dich nicht gehen!“
„Eson bitte, du tust mir weh!“
„Du hast es nicht anders verdient, so blöd wie du bist.“

Aus der Hütte kamen scheppernde Geräusche. Gegenstände fielen krachend auf den Boden.

„Alrond, das war die Stimme von Danea. Sie ist in Gefahr. Wir müssen etwas unternehmen.“
„Gehen wir hinein!“
Alrond öffnete vorsichtig die Tür. Vor ihnen breitete sich ein Bild der Verwüstung aus. Im Vorraum stand ein breitschultriger Mann, mit einem schwarzen, langen Haar, Mitte 40. Er blickte mit erhobener Faust auf Danea herunter, die unter einem Holztisch kauerte, ihre Arme zum Schutz vor ihrem Kopf erhoben. Der Mann roch stark nach Alkohol.

Daneas Ehemann war so in Rage, dass er nicht bemerkt hatte, als Alrond und Ysella die Hütte betraten. Eson wollte Danea schlagen. Der Chronist ergriff in letztem Moment seinen Arm:
„Das reicht!“
„Lass mich sofort los!“ der betrunkene Mann befreite sich mühelos.
„Wir lassen nicht zu, dass du Danea weiter misshandelst.“
„Ach ja, und wer sind „wir“? Ein Schwächling und eine hässliche Ziege, die mich blöd anglotzt?“
„Hey, du bist ja ein Kotzbrocken“, schrie Ysella zurück.
„Danea, bist du schwer verletzt?“ fragte Alrond besorgt.
„N ..n.. nein, ich habe nur einige blaue Flecken“, Danea zitterte. Ihr linkes Auge war blau umrandet, am rechten Unterschenkel hatte sie einen Bluterguss.
„Du hast es nicht anders gewollt!“ Eson wollte sie mit dem Fuß treten. Alrond ging dazwischen. Eson trat ihn gegen das Schienbein. Als Alrond sich schreiend krümmte, holte der kräftige Mann mit der Faust aus. Alrond konnte ihm teilweise ausweichen, wurde aber mit halber Kraft an der Schläfe getroffen. Alrond lief auf die andere Seite des Raumes. Er stellte sich zwischen Danea und Eson.
„Lauf mit Danea fort“, bat er Ysella.
„Wir lassen dich nicht allein zurück.“
„Ich habe hier genug Schläge für alle“, drohte Eson spöttisch, „wer seid ihr, dass ihr denkt, euch in meine Sachen einmischen zu dürfen?“
„Ich gehöre dir nicht, ich bin nicht dein Eigentum!“ Danea schrie ihn zitternd an.
„Das werden wir noch sehen!“ Eson schnaubte vor Wut. Er torkelte zu einem Dreibein, hob ihn auf.
„Jetzt! Ysella, lauft zum Wagen!“
„Aber komm auch gleich nach!“
Alrond holte einen großen Weidenkorb, der in einer Ecke auf dem Boden stand.
Daneas Ehemann griff ihn mit dem Dreibein an. Der Schreiber hob den Korb über seinen Kopf. Der Weidenkorb splitterte unter dem Aufprall. Alrond konnte zur Seite springen. Der Betrunkene rutschte aus, konnte sich noch mit einer Hand festhalten. Ysella kam hinzu und traf ihn kräftig in die Seite. Er fiel auf den staubigen Boden. Alrond und Ysella rannten aus der Hütte.

Danea wartete einige Meter entfernt auf sie. Sie blickte sich ängstlich um.
„Da seid ihr ja!“ rief sie erleichtert.
„Beeilen wir uns“, sagte Alrond.
„Wie geht es dir?“ fragte Ysella, als sie die Straße hinuntergingen. Sie stützte Danea, die völlig außer sich wirkte.
„Es ist schon in Ordnung“, antwortete sie leise, „Die Hauptsache ist, es ist vorbei.“

Sie gingen schnellen Schrittes an verschlossenen Hütten vorbei. Alle Nachbarn zogen sich zurück. Sogar die Gemüsehändlerin war nicht mehr zu sehen. Nur eine Gans lief über die schlammige Straße.

Als sie zum Wagen kamen, hörten sie Eson rufen:
„Danea! Komm‘ zurück!“
Die junge Frau zog ihren Kopf noch mehr ein. Sie zitterte am ganzen Körper.
„Schnell, Danea, steig ein!“ Alrond half ihr in den Wagen, Ysella saß bereits neben Gelas und ergriff ihre Hand. Alrond kletterte hinterher.

„Danea, komm auf der Stelle zurück!“ Eson näherte sich dem Wagen.

Hier geht es zur 7. Fortsetzung

Titelfoto: In Nebelheim, Fotorechte: Dario schrittWeise

4 Antworten auf „Geschichten aus dem Blauen Nebelgebirge [1.6]

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  1. Lieber Dario, deine Geschichten aus dem Blauen Nebelgebirge sind mit jedem neuen Beitrag interessanter und spannender. Ich freue mich schon auf neue Ereignisse.

    Liebe Grüße, Sophie Mai

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