Die Begegnung in den Ruinen [4.5.]

Alrond, Wad und Sellur wurden in der unterirdischen Ruinenstadt Nahraan gefangen genommen. Ihnen gelang die Flucht aus dem Turm, doch dann stellten sie fest, dass sie in einer Falle stecken: Die Höhle fiel in sich zusammen.
Währenddessen kehren Lyssea und die Kräuterkundige Tessia nach Phoenixstein zurück, nachdem sie sich in Dorran ausgeruht hatten. Werden sie die Mitglieder des Kleinen Rates retten können?

Die Erzählung „Die Begegnung in den Ruinen“ ist der vierte Teil der Reihe „Geschichten aus dem Blauen Nebelgebirge“.

Was bisher geschah

  • Geschichten aus dem Blauen Nebelgebirge: Übersichtsbeitrag
  • Teil 3 – Untergegangene Welt 3.6
  • Teil 4 – Die Begegnung in den Ruinen 4.1
  • Teil 4 – Die Begegnung in den Ruinen 4.2.
  • Teil 4 – Die Begegnung in den Ruinen 4.3.
  • Teil 4 – Die Begegnung in den Ruinen 4.4.

Die Begegnung in den Ruinen 4.5

Die Reise von Lyssea und Tessia dauerte mehrere Stunden. Es kam zu keinen Zwischenfällen, wie es Riandell vermutet hatte. Doch dann merkte Lyssea etwas.
„Schau, was ist das?“ Lyssea zeigte auf eine riesige Rauchsäule, die vor ihnen gen Himmel emporstieg.
„Das könnte ein Waldbrand sein.“
„So begrenzt?“
„Andererseits könnte es eine Vulkaneruption sein. Ich spüre kleine Erschütterungen des Bodens.“ Tessia sah sich um. Ihr Pferd reagierte mit einem nervösen Schnauben.
„Lass uns weitergehen.“
Eichhörnchen, Nagetiere und Dachse liefen an ihnen vorbei. Raben und Finke flogen scharenweise davon.
„Ich höre Stimmen.“ Lyssea ließ ihr Pferd traben. „Das sind Bewohner von Phoenixstein.“
Drei Frauen, zwei Männer und zwei Kinder kamen aus dem Wald heraus. Einer der Männer führte einen Esel mit sich. Das Tier war vollbepackt mit Vorräten und Gepäck. Die Menschen sahen ängstlich aus, dachte Lyssea.
„Lyssea, was machst du hier?“ Eine der Frauen löste sich aus der Gruppe und schritt auf sie zu.
„Das Gleiche wollte ich dich gerade fragen, Rawenha.“
„Der Vulkan Schwarzfeuer droht auszubrechen. Alle Bewohner fliehen aus der Stadt. Ihr musst einen verdammt wichtigen Grund haben, um in die andere Richtung zu reisen.“
„Das sind wirklich schlechte Neuigkeiten. Umso mehr müssen wir noch schneller sein.
Das ist Tessia, eine Kräuterkundige. Sie wird sich die Mitglieder des Kleinen Rates ansehen. Wenn jemand sie retten kann, dann Tessia.“
„Sie liegen noch in der Ratshütte. Niemand traut sich, sie zu bewegen.“
„Reiten wir lieber gleich weiter. Viel Erfolg euch“, sagte Ysella.
„Mögen die Götter euch beschützen!“ Rawenha bedachte sie mit einem besorgten Blick und schloss sich wieder ihrer kleinen Reisegruppe an. Ihre Begleiter grüßten sie mit einer Handbewegung.
Lyssea und Tessia setzten ihre Reise fort.
Die Schreiberin lenkte ihr Pferd in Richtung der riesigen Rauchsäule, die hinter Phoenixstein aufstieg. Sie musste das Pferd anspornen. Ihr war es mulmig zumute, weil der Rauch beeindruckend ausgesehen hatte.
Die nächsten Stunden vergingen ruhig. Vereinzelt liefen Bewohner von Phoenixstein und Umgebung an ihnen vorbei. Lyssea bemerkte, dass sie sich gewundert hatten, warum sie nach Phoenixstein reisten.
Lyssea hielt auf einer Anhöhe an, von welcher aus sie die Hauptstadt und den aktiven Vulkan sehen könnten. Die riesige Rauchwolke, die aus der Vulkanöffnung entstieg, überschattete die Stadt, die von einer großen Wehrmauer umgeben war.
„Was für eine Katastrophe! Die Eruption von Schwarzfeuer steht wohl kurz bevor.“ Lyssea betrachtete das grausige Naturschauspiel mit einer Mischung aus Faszination und Grauen.
„Ja, das denke ich auch. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“
In den Straßen unter ihnen rannten die Stadtbewohner wie Ameisen umher. In der Hauptstraße bildete sich eine Menschenmenge, die zum Haupttor zuströmte. Sie reisten zu Fuß, zu Pferd oder auf Planwagen. Sie nahmen alles mit, was sie tragen konnten. Viele Menschen verließen die Stadt auch über die Seitenausgänge oder mit Schiffen und Booten.
„Nur verrückte oder verzweifelte Menschen wie wir würden in solch einer Situation in die Stadt reiten.“
„Das sind die besten Voraussetzungen“, sagte Lyssea. „Auf geht’s!“ Sie ließ das Pferd umdrehen.
Es dauerte nicht lange und sie kamen zur Straße der Könige, die zur Hauptstadt führte. Eine große Menschenmenge zog an ihnen vorbei.
„Wir sollten die Stadt lieber durch eines der Seitentore betreten“, schlug Lyssea vor. Sie ritt voran.
Das Osttor stand offen. Doch auch hier strömten verängstigte Menschen heraus. Sie manövrierten ihre Pferde an ihnen vorbei.
Ein Mann mit einem Hund und einem riesigen Gepäckbündel auf dem Rücken fluchte, als Lysseas Pferd dicht an ihm vorbeitrabte.
„Entschuldigung, wir haben es eilig“, sagte sie entschuldigend.
„Das ist Wahnsinn. Alle fliehen und ihr kehrt nach Phoenixstein zurück?“ Eine ältere Frau schüttelte mit dem Kopf.
In den Straßen spürte Lyssea kleine Erschütterungen. Die Pferde wieherten ungeduldig. Die gigantische Rauchwolke überschattete die Stadt. Kleine Rußpartikel fielen wie schwarze Laubblätter auf die Straßen und Häuser nieder. Sie legten sich wie ein feiner Film auf alle Oberflächen. In den Gassen roch es nach Schwefel.
„Wir sind da. In dieser Hütte liegen die Mitglieder des Kleinen Rates. Wie kann ich dir helfen?“ Die Tür der Hütte war verschlossen, wie Lyssea sie in Erinnerung hatte.
„Sehen wir uns zuerst die Schlafenden an“, sagte Tessia.
Lyssea öffnete die Tür und betrat die Hütte. Die Kräuterkundige folgte ihr.

Quer durch die Mitte der Höhle entstand ein Riss. Alrond wie er durch kleine Beben größer wurde. Daraus entwichen Dampf und schwarzer, dichter Rauch, der aus der großen Öffnung in der Höhlendecke emporstieg. Immer größere Steinblöcke fielen auf den Boden.
Alrond blickte sich um. Wie können wir hier entfliehen? Gibt es noch einen Ausweg? Sein Herz pochte. In einer Entfernung von ungefähr 800 Metern entdeckte er den Mann mit der Ledermaske. Er machte sich an den Felsen zu schaffen.
„Seht, da ist der Turmwächter!“ Alrond deutete auf ihn. „Ich glaube, er versucht, einen der Ausgänge zu sabotieren. “
„Kommt, wir müssen ihn daran hindern!“, rief Sellur.
Sie liefen zum Wächter. Er war gerade dabei, kleine Tongefäße auf die Felsen zu verteilen. Er verband sie mit einer Zündschnur.
„Ihr! Wie seid ihr entkommen?“
„Du hast uns unterschätzt!“, schmetterte ihm Wad entgegen.
„Den Fehler mache ich nicht nochmal!“ Der Maskierte griff nach einem der Gefäße. Er holte bereits aus, als Alrond seine Hand ergriff.
„Hier enden deine Verbrechen.“ Sellur half Alrond, den Mann festzuhalten.
Ein Donnern erschütterte die unterirdische Halle. Mehrere Häuser und der große Tempel der Ruinenstadt stürzten ein.
„Wir müssen schnellstens die Höhle verlassen!“ Alrond strengte sich an, um den Lärm zu übertönen.
Steinbrocken und menschengroße Stalaktiten fielen von der Decke herab. Noch mehr Dampf zischte aus dem großen Riss.
Der Maskierte nutzte die Ablenkung, um zu fliehen. Er warf einen der Krüge, der einen Feuerball entfachte. Er sprang ins Wasser und tauchte unter.
„Passt auf!“, rief Alrond. Er duckte sich und schützte sein Gesicht mit hochgehobenen Händen.
„Elender!“, fluchte Wad und hob ebenfalls die Hände vor sein Gesicht.
Sellur brachte sich mit einem Sprung hinter einer halbverfallenen Mauer in Sicherheit.
Steine und Splitter schossen durch die Luft. Der Knall der Detonation erzeugte ein Echo in der Halle.
„Geht es euch gut?“, fragte Alrond, nachdem sich der Rauch gelegt hatte.
„Ja, ja, nur kleinere Schürfwunden. Aber die Explosion hat die Zündschnüre angezündet. Bald werden auch die anderen Tonkrüge in die Luft gehen“, stellte Sellur fest.
„Mir geht’s auch gut“, gab Wad an.
„Beeilen wir uns lieber.“ Alrond sprang ins Wasser. Die Kälte ließ ihn erschaudern. Er tauchte, so tief er konnte. Das Wasser war trüb, doch vor ihm konnte er ein kleines Licht erkennen.
Wad und Sellur folgten seinem Beispiel. Sie sprangen hinterher.
Alrond hielt die Luft an und schwamm so gut er konnte. Unter Wasser entdeckte er einen natürlichen Durchgang. Er war noch nie ein guter Schwimmer, dachte er, doch jetzt hing sein Leben davon ab. Die Gefahr spornte ihn an.
Plötzlich spürte er eine Druckwelle hinter sich. Die Tonkrüge des maskierten Wächters sind in die Luft gegangen, dachte er. Womit sie wohl gefüllt waren?
Felsen fielen hinter ihm und schnitten den Ausgang ab. Jetzt gab es kein Zurück mehr, dachte er. Haben Wad und Sellur es geschafft? Er sah nichts mehr, weil es in der Tiefe vollkommen dunkel war. Er schrammte mit dem Oberschenkel an der scharfkantigen Wand des Unterwassertunnels. Er spürte starken Schmerz sein Bein durchziehen.
Weiter. Ich muss weiterschwimmen. Vorsichtig bewegte er sich durch den Durchgang. Mit Händen berührte er die schroffen Felsen, die ihn umgaben. Er merkte, dass er bald an die Oberfläche kommen musste. Ihm wurde schummrig. Schneller, ich muss hier raus. Ich brauche Luft zum Atmen. Die drohende Lebensgefahr gab ihm zusätzliche Energie. Mit kräftigen Zügen legte er mehrere Meter zurück. Er hatte die Höhle verlassen, stellte er erfreut fest. Schnell an die Wasseroberfläche! Er verlor langsam das Bewusstsein. Nur noch wenige Schwimmzüge. Keine Luft! Mit letzter Anstrengung schwamm er weiter nach oben. Die Kräfte verließen ihn. War er das? Er fühlte, dass er keine Kraft mehr hatte.

Ende des 4. Teils.

Der 5. Teil folgt in Kürze.

Titelfoto: Die Küste von Phoenixstein, Fotorechte: Dario Schrittweise

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