In der dritten Fortsetzung der Erzählung „Begegnung in den Ruinen“ treffen Lyssea und die Kräuterkundige in Dorran einen alten Bekannten. In der Stadt wollen sie übernachten, bevor sie nach Phoenixstein zurückreiten werden.
Zur gleichen Zeit, tief unterhalb von Phoenixstein, werden Alrond, Wad und Sellur gefangengenommen. Sie wachen in einer Zelle auf, als jemand die Tür öffnete.
Die Erzählung „Die Begegnung in den Ruinen“ ist der vierte Teil der Reihe „Geschichten aus dem Blauen Nebelgebirge“.
Was bisher geschah
- Geschichten aus dem Blauen Nebelgebirge: Übersichtsbeitrag
- Teil 3 – Untergegangene Welt 3.6
- Teil 4 – Die Begegnung in den Ruinen 4.1
- Teil 4 – Die Begegnung in den Ruinen 4.2.
- Teil 4 – Die Begegnung in den Ruinen 4.3
Die Begegnung in den Ruinen 4.4
„Ledos und ich sind den beiden Wechselingen einen halben Tagesritt gefolgt“, erzählte Riandell. „Dann sind wir in einen Hinterhalt geraten. Die Geschwister haben mehrere Verbrecher um sich geschart, die uns aufgelauert sind. Wir konnten ihnen mit äußerster Mühe entkommen.“
In dem Moment trat die Wirtin auf sie zu. Sie war eine schlanke Frau mit langem, hellbraunen Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz geflochten hatte.
„Guten Abend, meine Damen“, sagte sie. „Was kann ich für euch tun? Der Herr hatte schon genug feurige Flüssigkeit für heute.“
Riandell wollte protestieren, doch die Wirtin lächelte nur.
„Die sind ja herzlich hier.“ Lyssea lachte.
„Ja, meistens.“ Riandell sah der Wirtin kurz nach. Sobald sie aus der Sicht war, sagte er: „Nur die Wirtin nimmt es manchmal zu genau.“
„Das habe ich gehört „, rief die Angesprochene vom anderen Ende des Raumes.
„Ihr seht, was los ist. Doch wo bin ich stehen geblieben?“
„Bei der Begegnung mit den Wechselingen“, erinnerte ihn Lyssea.
„Ach ja, stimmt. Wir konnten der Bande entkommen, doch mich hat ein Pfeil am Bein erwischt. Ziemlich übel die Sache. Wir konnten uns bis Dorran zurückziehen. Der hiesige Arzt konnte mir helfen, aber ich habe noch Schmerzen.“
„Ich werde mir deine Wunde ansehen.“
Sie baten die Wirtin, ihnen ein Nebenzimmer zu zeigen, wo sich Tessia seine Verletzung ansehen konnte.
Die Wirtin brachte heißes Wasser, damit sie die Wunde säubern konnte.
„Tut es sehr weh?“, fragte ihn Lyssea.
„Ich komme schon zurecht.“ Er biss auf die Zähne. Ein leiser Schmerzenslaut war zu hören.
Tessia wickelte die Wunde mit einem sauberen Tuch aus ihrer Ledertasche. „So, das wird dir helfen.“
„Danke dir, Tessia.“
„Gerne, ihr habt mir auch geholfen.“
„Was hast du vor, nachdem deine Wunde verheilt ist?“, fragte ihn Lyssea.
„Sobald ich wieder im Sattel sitzen kann, wollte ich nach Phoenixstein reisen. Dort erwarten mich meine Geschäfte.“
„Lass dir nur Zeit damit. Die Wunde sollte gut verheilen.“
„Und ihr? Seid ihr auch auf dem Weg in die Hauptstadt?“
„Alle wollen dorthin.“ Lyssea lachte. „Wir sind allerdings in ernster Angelegenheit unterwegs. Jemand hat den Kleinen Rat verzaubert. Sie sind in einem Zustand zwischen Tod und Schlaf.“
„Verzaubert?“, fragte Riandell.
„Das ist pure Spekulation“, wandte Tessia ein. „Lass das meine Sorge sein. Ich werde mir die Ratsmitglieder ansehen und dann entscheiden wir weiter.“
„Allerdings wundert es mich nicht, das so etwas passiert ist. In unserem Königreich stimmt seit einigen Mondphasen etwas nicht“, erwiderte Riandell.
„Meinst du diese seltsamen Wesen, die überall auftauchen?“
„Sie meine ich auch, aber auch die Stimmung am Hof.“
„In der Burg?“, wunderte sich Lyssea.
„Ja, da brodelt es richtig. Ich empfehle euch, derzeit niemanden aus dem Königshof zu trauen.“
„Das grenzt unsere Möglichkeiten gewaltig ein. Wir müssen uns auf die Mitglieder des Rates verlassen“, sagte Lyssea nachdenklich.
„Gut, dann sollten wir alle schlafen gehen und zu Kräften kommen“, sagte die Kräuterkundige. „Uns erwartet ein langer Ritt morgen. Und du mein Lieber, solltest dich auch erholen.“
Riandell räusperte sich und betrachtete seinen Verband. „Ich kann zwar nicht mit euch reiten, aber zumindest kann ich euch einen Rat geben.“
„Ich höre.“ Die Schreiberin beugte sich vor.
„Wie ihr wisst, passieren in der Gegend viele seltsame Dinge. In einem Flecken hatten wir aber keine Probleme. Reitet durch die Wälder des Silbernen Berges. Dort war alles friedlich.“
„Gut, wir haben nichts zu verlieren. Danke dir für den Rat“, sagte die Schreiberin.
„Und pass du gut auf deine Verletzungen auf. Lass dir die Wunden regelmäßig von einem Heiler oder Bader ansehen“, riet ihm Tessia.
„Ja, sehr wohl die Dame“, erwiderte er lächelnd.
Sie verabschiedeten sich voneinander und wünschten sich eine gute Nacht. Lyssea und Tessia bezogen Schlafkammern im Gasthaus.
Am nächsten Morgen traf Lyssea ihre Begleiterin im Gasthaus. Dort frühstückten sie gemeinsam.
„Du siehst müde aus. Ist etwas geschehen?“, fragte Tessia.
„Ich habe schlecht geschlafen. Die Geschichten von Riandell haben mir keine Ruhe gegeben. Alles ist unsicher gerade. Was wird uns erwarten, wenn wir nach Phoenixstein zurückkehren?“
„Das kann ich gut nachvollziehen. Aber nächstes Mal kannst du mich fragen, ich habe wirksame Schlafsäfte dabei.“
„Danke, ich werde daran denken. Reiten wir jetzt los“, erwiderte Lyssea.
Lyssea nahm ihre Sachen und verließ mit Tessia das Gasthaus. Sie sattelten die Pferde.
Die Tür der Zelle ging knarzend auf. Alrond drehte sich um. Ein großer Mann trat hinein. Sein Gesicht verhüllte er mit einer dunkelbraunen Ledermaske. Alrond konnte nur die Augen und den Mund sehen. Der Mann trug ein Kettenhemd.
„So, das Essen ist da!“, sagte der Mann trocken. „Genießt es und freut euch, solange es noch geht.“
„Warum? Wird es bald nicht mehr möglich?“, fragte ihn Alrond herausfordernd.
„Arzatoë und Gedan haben eine kleine Überraschung für euch. Wir haben euch bewusst eine Zelle mit einem Fenster gegeben“, sagte der Mann mit der Ledermaske.
„Was geschieht hier?“, wollte Wad wissen.
„Das werdet ihr bald genug feststellen.“ Er lachte. Der Mann verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich zu.
„Die Stimme ist mir bekannt vorgekommen“, sagte Alrond. „Ich kann sie nicht zuordnen, aber ich denke, dass ich den Mann hinter der Ledermaske schon einmal gesehen habe.“
„Wenn wir uns nicht befreien, werden wir es vielleicht nie erfahren“, erwiderte Sellur.
Alrond bemerkte, dass der Steinboden unter ihnen zu zittern begann. „Spürt ihr das?“, fragte er.
„Ein Erdbeben?“ Wad drehte sich zum Zellenfenster hin.
„Ich befürchte, noch schlimmer“, stellte Alrond fest. „Es ist eine Vulkaneruption. Die Erschütterungen sind nur die Vorboten.“
„Dann sitzen wir hier in der Falle“, sagte Wad.
„Nicht nur das. Und eine Vulkaneruption würde auch Phoenixstein zerstören. Ich glaube ich weiß, was zu tun ist.“ Sellur sah sich in der Zelle um.
„Das weißt du? Da bin ich aber gespannt. Eine Vulkanexplosion kann niemand aufhalten.“ Alrond betrachtete Sellur misstrauisch.
„Das ist auch kein gewöhnlicher Vulkanausbruch. Doch zuerst müssen wir aus diesem Turm fliehen.“ Sellur ließ seine Fessel geräuschvoll fallen. Danach half er Alrond und Wad. Sie sahen ihn überrascht an. „Aber wie …“ Wad staunte.
„Ich ahnte, dass du kein Händler bist.“
„Du hast recht. Und das muss erstmal als Erklärung reichen. Ich weiß, warum der Vulkan ausbricht.“
Alrond folgte Sellur und Wad durch die Zellentür und die Treppe des Turms hinunter. Er fand Sellurs Erklärung ungenügend und wollte mehr wissen. Doch er spürte, dass er ihm vertrauen konnte. Zumindest vorerst. Andererseits wusste er, dass er momentan keine andere Wahl hatte, als seine Neugier hintanzustellen. Phoenixstein und seine Bewohnerinnen und Bewohner waren in Gefahr!
„Ich denke, zuerst sollten wir aus dieser Falle entkommen“, sagte Alrond. „Dort ist ein Durchgang, der so aussieht, als ob er nach draußen führen würde.“ Er deutete auf eine Höhle, die zur Hälfte unterhalb der Wasseroberfläche stand.
Alrond und seine Begleiter gingen die hölzerne Wendeltreppe hinunter. Ee konnte keine Spuren von den Wechselingen und ihren Komplizen entdecken. Alrond sah vom Weiten, dass den Eingang der Höhle mit riesigen Steinbrocken versperrt war.
„Diese Tiere!“, erfuhr es Alrond. „Sie haben den Ausgang verbarrikadiert.“
„Das haben sie bestimmt auch mit den anderen Durchgängen gemacht.“ Sellur sah sich um und schüttelte verärgert mit dem Kopf.
Alrond spürte, dass die Beben stärker wurden. Mehrere Risse entstanden vor ihm im Boden. Aus ihnen zischte heißer Dampf. Neben dem Turm, in dem sie gefangen waren, schoss ein Geysir in die Luft. Vom Nachbargebäude fielen mehrere Steinblöcke herunter
„Wir müssen schnellstmöglich hier weg!“, sagte Wad.
Wie um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, krachte ein Granitbrocken von der Höhlendecke einige Fuß von ihnen entfernt auf den Boden. Steinsplitter flogen umher.
„Welch ein Chaos!“, rief Alrond. „Da sehe ich einen weiteren Durchgang, sehen wir nach, ob wir da rauskommen können.“ Alrond ging voraus, seine Begleiter folgten ihm.
Fortsetzung folgt
Titelfoto: Burgansichten, Fotorechte: Dario Schrittweise
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Thank you, Priti 🙂
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