Die herbstliche Sonne ging langsam über Lyon unter und tauchte die vom Verfall gezeichneten Zuschauerränge des antiken Theaters in ein warmes Licht. Ich lief durch die halbkreisförmig angeordneten Sitzreihen und stellte mir vor, wie es sich vor 2000 Jahren wohl anfühlen müsste, als Besucher oder Schauspieler hier gewesen zu sein. Welche Szenen mögen sich hier, im wahrsten Sinne des Wortes, abgespielt haben?
Die archäologische Parkanlage entdeckte ich rein zufällig während meines kurzen Aufenthaltes in Lyon im September 2017. Ich übernachtete auf meiner Durchreise in der französischen Metropole und hatte nur einen Abend Zeit, um mir die Altstadt anzusehen, die seit 1998 zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört. Dabei ließ ich mich von den Hinweisschildern in der Stadt leiten und schaute mir einige Sehenswürdigkeiten an. Mich interessierte jedoch insbesondere das Gelände mit der Ruine des gallo-römischen Theaters.
Die Gründung von Lugdunum
Der Stadtkern von Lyon wurde um den Hügel von Fourvière errichtet. Hier besichtigte ich auch zwei der wichtigsten Gebäude der Stadt, die Kathedrale Saint-Jean und die viertürmige Basilika Notre-Dame de Fourvière. Mein Hauptinteresse galt jedoch dem antiken Theater auf dem ältesten Hügel der Stadt. Hier befand sich eine gallische Siedlung, bevor die Römer im Jahre 43 vor Christus eine Stadt mit dem keltischen Namen Lugdunum gründeten. Lugdunum bedeutet „Festung des Lug“, wobei Lugus eine keltische Gottheit war.[1]

Das gallo-römische Theater von Lugdunum
Die Römer haben Lugdunum zum Verwaltungssitz der gallischen Provinzen bestimmt. Mit seiner günstigen Lage am Zusammenfluss der Rhone und der Saône sowie zwischen Jura, Alpen und Zentralmassiv übte die Stadt eine strategisch wichtige Rolle in der Region für drei Jahrhunderte aus. Heute ist Lyon die Hauptstadt der Region Auvergne-Rhône-Alpes. In der Region machte ich bereits meine Pilgerwanderung zwischen Basel, Cluny und Ley Puy-en-Velay.
Auch das Theatergebäude entstand in der Gründungszeit von Lugdunum, während der Herrschaft des römischen Kaisers Augustus. Die Forscher datieren den Bau auf die Zeit zwischen dem Ende des 1. Jahrhunderts vor Christus und dem Anfang des 1. Jahrhunderts nach Christus. Die Römer haben das Theater in der Nähe des Forums errichtet und nach Südosten ausgerichtet. Angrenzend an das Theater haben die Ausgrabungen ein Odeum zutage gefördert. Das Theater von Lugdunum gilt als das älteste gallische Theater. [2]

Die Geschichte der Ausgrabungsstätte
Spannend fand ich auch später zu lesen, dass die Archäologen das antike Theater zufällig entdeckten, als sie das Amphitheater von Lyon suchten. Sie orientierten sich an Schriften der Christen aus Lyon aus dem Jahr 177, die darin einer christlichen Gemeinde in Asien über den Märtyrertod von ihren 6 Gemeindemitgliedern im Amphitheater von Lungudunum berichteten. Im Jahr 1933 erfolgten die Ausgrabungen und dabei stießen die Forscher auf die Überreste des Theaters und des danebenliegenden Odeons. Das Amphitheater wurde später auf dem unweit entfernten Berg Croix-Rousse entdeckt.[3]
Das römische Theater von Lyon entstand wie alle damaligen Theaterbauten des Römischen Reiches nach dem griechischen Vorbild. Der markanteste Bereich des Theaters ist der Zuschauerraum (cavea) mit im Halbkreis angelegten und aufsteigenden Sitzen. Die Sitzreihen konnten durch mehrere Korridore und Treppen erreicht werden. Die Sitzplätze wurden nach sozialem Status der Besucher verteilt. Wichtige Persönlichkeiten saßen dabei entweder in der Ebene direkt vor der Bühne (orchestra) oder in den seitlichen Logen (tribunalia). Der gewöhnliche Bürger dürfte sich seinen Platz oberhalb dieses reservierten Bereiches frei aussuchen. Der Zuschauerbereich umfasste zunächst zwischen 4.700 und 5.700 Plätze, nach dem Erweiterung konnten 10.000 Bürger die Vorstellungen genießen. [4]

Der Bühnenbereich konnte in Lyon nicht vollständig rekonstruiert werden. Historisch gesehen bestand dieser aus dem Bühnenhaus (scaena frons) und der eigentlichen Bühne (pulpitum). Über der Bühne schützte meistens ein Dach die Schauspieler vor Wind und Wetter. Im Bühnenhaus wurden die Requisiten, Kostüme sowie andere für Theatervorführungen notwendigen Utensilien aufbewahrt.[5]

Auf der unteren Abbildung ist ein idealtypisches griechisches Theater zu sehen, ähnlich kann man sich auch das Theater von Lungudunum vorstellen. Auf der Zeichnung sind deutlich die Zuschauerränge und die Bühne mit dem Bühnenhaus erkennbar.
Leider hatte ich an jenem Abend keine Zeit mehr für weitere Besichtigungen. So konnte ich mir auch das benachbarte Odeon nicht mehr ansehen. Odeon ist ein kleineres römisches Theater, in dem in erster Linie öffentliche Lesungen und Rezitale stattfanden. Die Überreste des Gebäudes sind auf dem oberen Foto links neben dem großen Theater zu sehen. Odeon von Lyon wurde im 1. Jahrhundert nach Christus errichtet.[6] Im wesentlich kleineren Odeon konnten sich ungefähr 3.000 Menschen versammeln. Die benachbarte Lage der beiden Gebäude war in der Antike einzigartig.[7]

Heute finden im Theaterkomplex von Lyon in warmen Monaten Open-Air-Konzerte oder städtische Theateraufführungen statt. Neben und teilweise unterhalb des archäologischen Parks befindet sich das Musée Gallo-Romain.[8]

Nachdem die Museumsmitarbeiter die anderen Besucher und mich über die Schließung der Anlage informierten, verließ ich die Theaterruine und traf eine Gruppe von Frauen, die sich als Hippies der 70er-Jahre verkleideten. Sie winkten mir fröhlich zu, als ich sie fotografierte, und stiegen in zwei VW-Busse des entsprechenden Jahrzehnts ein. Ich weiß nicht, ob sie eine Gruppe der Laienschauspielerinnen waren oder ob sie einen Junggesellinnenabschied feierten. Jedenfalls fand ich es interessant, sie hier beim alten Theater zu sehen und stellte mir innerlich schmunzelnd vor, wie es wäre, wenn sie vor mehr als zwei Jahrtausenden unten auf der Bühne auftreten würden. In dem Fall nicht als Hippies sondern mit typischen Masken des griechischen und römischen Theaters der Antike.

Ich genoss die kurze Zeit, die mir für die Besichtigung der Theaterruine zur Verfügung stand. Allgemein mag ich Museen und Fundstätten von Überresten alter Zivilisationen, weil darin die Kunst und Geschichte unserer Vorfahren wörtlich zum Greifen nahe sind. Meistens lassen wir uns von großen und berühmten Bauwerken begeistern, aber auch kleine Zeugen der Geschichte haben ihren Reiz, wie ich in Lyon wieder feststellte.
Quellen
Hinweis: Alle Quellen zuletzt abgerufen am 09.02.2018 [1] https://de.lyon-france.com/Lyon-UNESCO-Stadt [2] http://tls.theaterwissenschaft.ch, nach: Seat, Band 1, S. 420–423 [3] http://www.museegalloromain.grandlyon.com/en/Archelogical-site [4] https://de.lyon-france.com/Lyon-UNESCO-Stadt [5] ebd. [6] http://www.museegalloromain.grandlyon.com/en/Archelogical-site [7] http://de.france.fr/de/sehenswert/roemisches-theater-lyon-0 [8] ebd.
Eine Reise in diese Stadt scheint sich zu lohnen 😉
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Hallo Frauke, auch jeden Fall 🙂 Ich fand die Altstadt und das antike Theater sehr sehenswert. Liebe Grüße, Dario 🙂
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Ah, und wie lange sollte man sich Zeit nehmen, ca drei Tage?
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Auf die Schnelle geht auch ein Tag, denn ich hatte nur einen Abend, aber wenn man sich Zeit lassen möchte, mindestens 1 – 2 Tage. Anscheinend gibt es auch Reste eines Amphitheaters, dafür hatte ich aber keine Zeit mehr. Die Umgebung ist auch wunderschön. LG
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Ah, ok, vielen lieben Dank für die Infos ☺
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Gerne 🙂 Drei Tage sind denke ich am enspanntesten, dann kann man auch Museen besichtigen und Ausflüge in die Umgebung machen 🙂 Liebe Grüße, Dario
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Ich war zwar schon in Lyon, aber das Theater habe ich nicht besucht.
Interessant – wir haben ja im Frankfurter Umfeld auch einige römische
Objekte, z.B. die Saalburg oder den Limes ganz in der Nähe. 🙂
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Ich habe das Theater auch relativ zufällig entdeckt, als ich in der Altstadt war. Solche Überraschungen sind am schönsten 🙂 Liebe Grüße und noch einen erholsamen Abend, Dario
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Danke – Lyon ist eine sehenswerte Stadt.
Bisher war ich zweimal da, aber es gibt
noch mehr zu entdecken… 😉
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Hat dies auf Die Goldene Landschaft rebloggt.
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Vielen herzlichen Dank. Die Theaterruine des alten Lungudunum fand ich sehr faszinierend. Freundliche Grüße und einen angenehmen Abend, Dario
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Die Fotos sind wirklich gelungen und lassen die Atmosphäre spüren. Beste Grüße Reinhard
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Dankeschön, Reinhard. Ich hatte an jenem Tag nicht viel Zeit für Fotos, weil sie die archäologische Anlage bald schließen mussten, ich konnte aber einen guten Eindruck des Theaters gewinnen. Freundliche Grüße aus Nürnberg, Dario
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Hat dies auf Die Erste Eslarner Zeitung – Aus und über Eslarn, sowie die bayerisch-tschechische Region! rebloggt.
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Danke und noch einen entspannten Abend, LG 🙂
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Jetzt würd ich gerne auf der Stelle losfahren und alles selber anschauen …
– aber muss ich ja gar nicht (kann ich auch nicht), denn du hast alles so super beschrieben – fast wie ECHT! Danke!😊
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Das Gefühl kenne ich gut. Wenn ich Beiträge über interessante Orte lese, würde ich auch am liebsten gleich hinfahren. Oft reichen auch die schönen Fotos 🙂
Danke. Liebe Grüße und ein schönes Wochenende,
Dario
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