Das weiß-blaue Haus steht leicht erhöht auf einem Hügel oberhalb von Murnau. Es ist eingebettet in einen sorgfältig gepflegten Garten. Die Farben, mit welchen das Haus gestrichen ist, erinnern mich an die Gemälde der Künstlergruppe „Der blaue Reiter“ und an schwedische Holzhütten. In diesem Haus verbrachte die Künstlerin Gabriele Münter mehrere Jahre ihres Lebens. Während des Naziregimes versteckte sie im Haus mehrere Gemälde ihres langjährigen Lebensgefährten Wassily Kandinsky und anderer Künstler/innen des „Blauen Reiters“ vor den Nazis, welche ihre Kunstwerke mit dem abwertenden Begriff „Entartete Kunst“ bezeichneten. Mit dieser Tat brachte sie sich in höchste Gefahr.
Letztes Jahr im Herbst verbrachte ich einige Tage im Blauen Land, in erster Linie in Murnau. Dabei hatte ich die Gelegenheit, das Haus von Gabriele Münter zu besichtigen und gewissermaßen den „Geist“ des Blauen Reiters zu spüren, denn sie gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Künstlergruppe und in ihrem Haus fanden die ersten Redaktionssitzungen statt.
Beiträge über den Expressionismus
Wer mehr über die Ursprünge und die Künstler/innen des Expressionismus und des Blauen Reiters erfahren möchte, kann dies in meinen bisherigen Beiträgen zu dem Thema tun:
- Der Blaue Reiter und Franz Marcs Skizzen
- Ausstellung Edvard Munch
- Die Künstlervereinigung „Die Brücke“ und der Expressionismus
- Der Expressionismus im Blauen Land
Gabriele Münter in Murnau
Gabriele Münter wurde als Gabriele Helene Henriette Münter 1877 in Berlin geboren. Sie wollte Kunstmalerin werden, doch leider nahmen die Kunstakademien damals nur Männer auf. Münter nahm Unterricht bei Privatlehrern und an kleineren Kunstschulen. Sie begann auch viel zu fotografieren und beschäftigte sich mit der Bildhauerei.
Im Jahr 1902 nahm Gabriele Münter an der Sommermalschule von Wassily Kandinsky in Kochel teil. Er war damals bereits ein anerkannter Künstler und sie eine angehende Malerin. Kandinsky wird sich als eine wichtige Person in ihren Anfangsjahren als Künstlerin erweisen. Er erkannte und förderte ihr Talent. Bald wurden sie ein Paar und unternahmen viele Reisen, in erster Linie weil Kandinskys noch verheiratet war und sich deswegen nicht öffentlich zu seiner neuen Beziehung bekennen konnte.
Rund um das Haus
An einem lauen Nachmittag im Herbst 2020 ging ich zum Haus von Gabriele Münter in der Kottmüllerallee. Das Grundstück befindet sich an einem hervorragenden Ort. Leicht erhöht blickt man aus dem Haus über Murnau, auf die Kirche und das Schlossmuseum. In der Ferne kann sogar das berühmte Murnauer Moos erblickt werden, eine weitere Inspirationsquelle der Künstlerin.
Münter und Kandinsky
Gabriele Münter verbrachte viele Monate mit Kandinsky in ihrem Murnauer Haus. Ihre Beziehung zu Kandinsky kann als komplex bezeichnet werden. Die beiden Künstler waren ein Liebespaar, doch Kandinsky blieb zunächst verheiratet. Und Münter fühlte sich von anderen Menschen als Anhängsel des berühmten Kandinsky wahrgenommen:
„Ich war in vieler Augen doch nur eine unnötige Beigabe zu Kandinsky. Dass eine Frau ein ursprüngliches, echtes Talent haben – ein schöpferischer Mensch sein kann, das wird gern vergessen.“ So beschrieb es Gabriele Münter 1926 in ihrem Tagebuch.
Gabriele Münter Das Gelbe Haus 1909
Doch Kandinsky erkannte ihr Talent und half ihr, sich zu entfalten. Einmal erzählte er sogar, Gabriele Münter sei so gut, er könne ihr nichts mehr beibringen.
Über ihre eigene Kunst sagte Münter: „Was an der Wirklichkeit ausdrucksvoll ist, hole ich heraus, stelle ich einfach dar, ohne Umschweife, ohne Drum und Dran. So bleibt die Vollständigkeit der Naturerscheinung außer Acht, die Formen sammeln sich in Umrissen, die Farben zu Flächen, es entstehen Abrisse der Welt, Bilder.“ Dieses Zitat ist gleichzeitig mein Gedanke des Monats Juli 2021 gewesen.
Gemeinsam gründeten Kandinsky und Münter, mit anderen Künstlerinnen und Künstlern, die Gruppe „Neue Künstlervereinigung München“, aus welcher sie jedoch 1911 wieder ausgetreten sind, um sich ihrer gefühlsbetonteren Kunst zu widmen.
Wassily Kandinsky: „Bildnis Gabriele Münter“, Quelle: commons,wikimedia.org
Redaktionssitzungen im „Russen-Haus“
1908 kamen Münter und Kandinsky zum ersten Mal nach Murnau, um ihre Künstlerfreunde zu treffen. Sie verliebten sich gewissermaßen in das Städtchen. Ein Jahr später kaufte Münter im Ort ein Haus von ihrer großen Erbschaft.
Ihr Haus in der Kottmüllerallee wurde bald zu einem berühmten Treffpunkt der Künstlerwelt. In Murnau bekam es den Spitznamen „Russen-Haus“, weil hier neben Kandinsky auch deren russischen Künstlerfreude von Werefkin und Jawlensky ein- und ausgingen. In diesem Haus fanden die ersten Sitzungen der berühmten Redaktion „Der Blaue Reiter“, Münter, Kandinsky und August Macke waren die Gründungsmitglieder.
Der Innenbereich
Heute wird das Haus von der die Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung verwaltet. Im Haus sind viele Gemälde, Grafiken und Hinterglasbilder von Münter und Kandinsky ausgestellt. Mit der Gründung der Stiftung verfügten Münter und ihr Ehemann, der Kunsthistoriker Johannes Eichner (1886 – 1958), dass das Haus in seinem ursprünglichen Zustand wie in der Zeit zwischen 1909 und 1914 für die Öffentlichkeit zugänglich sein soll. Das Hausinnere ist sehr sehenswert, Münter und Kandinsky bemalten die Treppe und einige Möbel selbst.
Die beiden Weltkriege
Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges zerstreuten sich die Künstler/-innen des Blauen Reiters in alle Himmelsrichtungen. Kandinsky kehrte nach Russland zurück, Münter wartete umsonst auf ihn, er heiratete 1916 wieder.
Gabriele Münter lebte in Schweden und Dänemark. 1920 kehrte sie nach Deutschland zurück. Sie versuchte weiterhin ihrer Kunst treu zu bleiben, was mit der Machtergreifung des NS-Regimes zunehmend schwieriger wurde. Der typische Malstil des Blauen Reiters war nicht gern gesehen. 1934 erhielt Münter wegen ihres Gemäldes „Fräulein Ellen im Gras“ von der nationalsozialistischen Regierung sogar ein Ausstellungsverbot. Es war für die damalige Zeit ein sehr modernes Gemälde, sowohl von der Farbgestaltung als auch von dem Motiv. Darauf ist eine Frau zu sehen, „Fräulein Ellen“, die einer alltäglichen Betätigung nachgeht. Heute wundern wir uns darüber, es fällt uns schwer etwas Unerhörtes daran zu finden.

Gabriele Münter lebte von 1931 wieder fest in ihrem Haus in Murnau. Hier bewahrte die Malerin im Keller seit 1914 die kostbaren Gemälde, die sie und ihre Künstlerfreunde schufen. Sie rettete die Kunstwerke so vor den Nationalsozialisten. Zu ihrem 80. Geburtstag schenkte Gabriele Münter einen Großteil dieser Sammlung der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München.
Die Künstlerin starb 1962 in Murnau. Sie wurde auf dem städtischen Friedhof begraben. Die Besucher/-innen können von Gabriele Münters geliebten Haus in der Kottmüllerallee auf die Kirche mit dem Friedhof blicken.
Der Besuch in Gabriele Münters Haus hat mir sehr gut gefallen. Die ausgestellten Gemälde geben einen guten Einblick in die Arbeit von Gabriele Münter und ihren Freunden. Das Anwesen selbst ist auch ohne der Kunstwerke einen Besuch wert. Im Haus konnte ich ein wenig das Gefühl bekommen, wie sich die Künstlergemeinschaft „Der Blaue Reiter“ entfalten konnte.
Quellen
Titelfoto: Gabriele-Münter-Haus,Fotorechte:Dario schrittWeise 2020, Fotos der Gemälde von Kandinsky und Münter: commons.wikimedia.org (Zuletzt abgerufen: 08.07.21) https://www.br.de/presse/inhalt/pressemitteilungen/frauen-in-der-kunst-104.html (Zuletzt abgerufen: 08.07.21) https://www.lenbachhaus.de/entdecken/ausstellungen/detail/unter-freiem-himmel (Zuletzt abgerufen: 08.07.21) https://www.deutschlandfunk.de/welten-und-gegenwelten.704.de.html?dram:article_id=316172 (Zuletzt abgerufen: 08.07.21) https://www.br.de/nachrichten/kultur/so-reisten-und-malten-gabriele-muenter-und-wassily-kandinsky,SDDG7iG (Zuletzt abgerufen: 08.07.21) https://www.dw.com/de/kandinsky-und-m%C3%BCnter-malerische-reisen/a-55270599 (Zuletzt abgerufen: 08.07.21) https://www.dasblaueland.de/Kultur/Blauer-Reiter (Zuletzt abgerufen: 08.07.21)
Mir scheint, dass du meine Freude an expressionistischen Malern teilst und über sie schreibst. Ich werde mich gleich einmal abonnieren. Herzliche Grüße aus Wien
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Hallo Myriade, ja, mir gefällt die Kunst der Expressionistinnen und Expressionisten. Ab und zu schreibe ich im Blog darüber. 😉 Ich werde demnächst mal wieder bei dir vorbeischauen. Liebe Grüße aus Nürnberg, Dario 🙂
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Liebe Grüße zurück !
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Danke für den interessanten Beitrag und die Bilder. 🙂
Liebe Grüße Ariana
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Hallo Ariana, es freut mich, dass dir mein Beitrag gefällt 🙂 Danke und sonnige Grüße aus Nürnberg, Dario
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Dankeschön 🙂🍀
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Danke für die Info, Dario! Jetzt weiß ich wo ich demnächst einmal hin muss. Wünsche dir ein schönes Wochenende! LG Michael
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Hallo Michael, Murnau und das Blaue Land kann ich wärmstens empfehlen. Liebe Grüße
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Hat dies auf NEW OPENED BLOG > https:/BOOKS.ESLARN-NET.DE rebloggt.
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Danke, Michael 🙂
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Eine traurig wirkende Frau.
Ich war auch einmal dort gewesen.
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Ja, auf dem Gemälde wirkt sie zumindest nachdenklich und melankolisch.
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Ich kenne ja einiges von ihr. Es war sozusagen Kult, sich mit ihr zu beschäftigen. Und auch die Orte aufzusuchen, wo sie lebten.
Ich war sogar mal am Ort, wo Max ernst lebte, in den USA. Sedona.
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Das klingt spannend. Gibt es da ein Museum mit Werken von Max Ernst?
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Wir sind da mit einer Reisegruppe durchgefahren, kein Chance also, das in Erfahrung zu bringen.
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