Die schönsten Momente des Pilgerns erlebe ich nicht beim Erklimmen der höchsten Gipfel, beim schnellen Zurücklegen der längsten Etappen oder beim Optimieren meiner Ausrüstung. Die wahre Schönheit der Pilgerwege erfahre ich meistens in der Begegnung mit anderen Menschen und in der Stille, die ich spüre, wenn ich in der Natur alleine mit meinen Gedanken bin. Die Pilgerschaft ist in meinen Augen ein gutes Beispiel für die innere Reise, über die ich bereits geschrieben habe. Immer wieder begegneten mir entlang des Jakobswegs Menschen, die mich ein Stück des Weges begleiteten. Einigen begegnete ich wieder und von anderen sind nur Erinnerungen geblieben. Auch an einige Unterkünfte und ihre Betreiber oder Betreuer denke ich sehr gerne zurück, weil sie sich nicht nur um das leibliche Wohl der Pilger kümmerten. Eine dieser besonderen Pilgerunterkünfte auf der Via Podiensis fand ich in Ussac, zwischen Figeac und Limogne-en-Quercy.
Wegweiser
- Hintergründe über Via Podiensis
- Beitrag 8: Massip – Conques (9. Etappe)
- Beitrag 9: Conques – Noalihac (Etappe 10)
- Beitrag 10: Noalihac – Figeac (Etappe 11 und 12)
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13. Etappe: Figeac – Ussac
- Datum: So, 28.08.2018
- Entfernung: 26 Kilometer
Am Morgen frühstückte ich in meiner Herberge mit einem jungen französischen Paar aus Paris und einem Mann aus Cognac, der Stadt in welcher der berühmte Branntwein hergestellt wird. Der Mann aus Cognac wollte in der Gegend bleiben und die beiden jungen Juristen wollten entlang des Flusses Célé wandern.
Figeac am Vormittag
Nachdem ich am Abend in Figeac nicht alles sehen konnte, was ich mir vorgenommen hatte, beschloss ich zumindest noch ein interessantes Gebäude zu sehen, bevor ich meine Tagesetappe anfange. Ich ging zum Touristenbüro, weil sich dieses laut Stadtplan in einem historisch bedeutenden Gebäude befindet.
Nach Figeac kann sich der Pilger für drei Wege entscheiden, ein Weg führt entlang der klassischen Route nach Santiago, der zweite folgt dem Verlauf des Flusses Célé, einem Nebenfluss von Lot, und der dritte ist ein Abstecher nach Rocamadour. Ich entschied mich für die klassische Strecke, obwohl viele Argumente auch für die anderen Optionen sprechen.
Pause im schönen Dorf Fayceles
Auf dem Ausgang aus der Stadt, auf der anderen Seite des Flusses Célé, traf ich das junge Pariser Ehepaar und lief ich eine Weile mit ihnen, weil sich unsere Wanderwege teilweise überschnitten. In Fayceles machten wir viele Fotos, weil uns das Dorf sehr gut gefiel. Die alten Häuser sind sehr gut erhalten und schön hergerichtet.
In einem Café im Dorf machten wir Pause und trafen dort Monique, die ich schon nach der ersten Tagesetappe in der Pilgerherberge von Noalhac kennenlernte. Neben der Kirche richtete die Kirchengemeinde ein Empfangsbüro für Pilger ein. Wir unterhielten uns ein wenig mit den Betreuern. Bei Béduer trennten sich die Wege vom netten Paar aus Paris und mir.
Die beiden Juristen folgten weiter dem Verlauf des Flusses Célé, während ich meinen Weg auf dem GR 65 nach Ussac und Cajarc fortsetzte. Hier erreichte ich das Gebiet des regionalen Naturparks der Quercy-Kalkplateaus („Parc Naturel Régional des Causses du Quercy“) zu dem mehrere Kalksteinplateaus gehören.
Bei einem Dolmen, einer Grabkammer aus der Kupferzeit, die aus mehreren Steinen und einer Deckplatte besteht, teilt sich der Weg. Eine Abzweigung führt weiter nach Cajarc und die andere nach Ussac. Die Kreuzung ist sehr gut gekennzeichnet und der Dolmen ist unübersehbar.
Vom Dolmen aus folgt der Pilger einem speziellen Weg nach Ussac, den der Herbergsvater eigens angelegt hatte. Er gestaltete die Abzweigung zu seinem Bauernhof mit viel Liebe zum Detail. Kaum ein Wander- oder Pilgerweg ist so gut ausgeschildert wie diese 4 Kilometer, weil der Herbergsvater die Wegzeichen in regelmäßigen Abständen angebracht hatte.

Verschiedene Installationen säumten den Weg, u.a. ein als Toilettensitz präparierter Baumstamm, eine Schildkröte, eine Uhr die statt der aktuellen Uhrzeit nur das Wort „Jetzt“ anzeigte und ein großer Spiegel mit dem Satz: „Ihr seid für euer Gesicht unschuldig, aber verantwortlich für den Gesichtsausdruck, den ihr macht.“ Am Ende des Weges begrüßte der Künstler die Reisende mit drei kleinen Schildern, mit welchen er dem Leser „Liebe“, „Vertrauen“ und „Frieden“ wünscht.
Ich vermute, dass viele Pilger seine Unterkunft meiden, weil sie einen Umweg befürchten. Anfangs hatte ich auch bedenken, diese konnte mir der Herbergsbetreiber zerstreuen, weil er mir eine Abkürzung nach Cajarc beschreiben konnte.
Quelle von Ussac
In Source de Ussac („Quelle von Ussac“) empfing mich der Herbergsvater sehr freundlich. Zunächst lud er mich auf ein Begrüßungsgetränk ein. Ich erfuhr gleich, dass ich nicht der einzige Besucher war. Tom aus Australien und Hervé aus Frankreich blieben auch über Nacht.
Der Herbergsvater zeigte uns sein Anwesen und half mir, meine Kleidung nach der Handwäsche im Hinterhof aufzuhängen. Dort sah ich seine vielen Pfauen, die fröhlich umherstolzierten. Sie erinnerten mich an eine Pilgerunterkunft in der Region Franche-Comté, in der ich 2016 übernachtete. Über dieses denkwürdige Ereignis werde ich auch eines Tages schreiben.
Er erzählte mir über seine Erfahrungen mit dem Pilgern, über den besonderen Künstlerpfad, den er angelegt hatte und über die kunstvoll gestalteten Skulpturen, die seine Frau auf dem Anwesen verteilte.
Ich unterhielt mich mit Tom und Hervé, die besondere Charaktere sind, im positiven Sinne. Hervé ist eine sympathische Quasselstrippe, die mit seinen blonden Haaren und seiner positiven Ausstrahlung ein wenig an die 45-jährige Version von Tim aus der Comic-Reihe „Tim und Struppi“ erinnerte.
Tom ist wie ein klassischer Wanderer aus Australien gekleidet, mit grau-grünen Farbtönen und einem Wanderhut. Er lässt sich kaum aus der Ruhe bringen und besitzt einen trockenen und erfrischenden Humor. Insgesamt sind beide ein amüsantes Paar gewesen, der eine gab sich größte Mühe dem anderen etwas zu erklären und der andere verstand nichts und verzog dabei keine Miene.
Wir aßen im Garten zu Abend und blieben länger wach. Der Bauernhofbesitzer brachte noch die Schafherde in den Stall. Er erzählte uns von seinem Safrananbau, der in der Gegend wieder populär geworden ist. Die kristallklare Sommernacht wirkte sich positiv auf unsere Stimmung aus.
14. Ussac – Limogne-en-Quercy
- Datum: So, 29.08.2018
- Entfernung: 26 Kilometer
Am nächsten Morgen frühstückten wir zu dritt in der Küche. Meine beiden Mitpilger beeilten sich und liefen los, während ich mir etwas Zeit ließ und später den Bauernhof verließ. Ich verabschiedete mich vom freundlichen Gastgeber. Die Pfauen schliefen noch.

Nach wenigen Kilometern holte ich Hervé ein, der mit zwei Wanderstöcken unterwegs war. Ich wunderte mich, dass er nicht bereits viel weiter kam, aber vermutlich machte er noch zwischendurch eine Pause. Wir liefen gemeinsam nach Cajarc und Hervé erzählte tatsächlich viel, wie Tom es angekündigt hatte, er brachte mich aber oft zum Lachen.
Uns kamen zwei Pilger entgegen, die auch nach Cajarc gehen wollten. Wir konnten sie nicht überzeugen, dass wir auch nach Cajarc gingen und dass sie aber in die falsche Richtung wanderten. Hervé und ich setzten unseren Weg fort und vergaßen die beiden, als uns plötzlich jemand fröhlich von hinten grüßte. Es waren die beiden Pilger, die ihren Irrtum einsahen. Sie überholten uns lachend, weil sie sehr schnell waren. Wir begrüßten sie, ebenfalls bester Laune.
In Cajarc suchte mein Begleiter eine Apotheke auf, weil er Rückenschmerzen hatte. In einem Café traf ich Tom, der hier gerade seine Mittagspause machte. Ich blieb noch ein wenig und schaute mich in der Stadt um, als Tom aufbrach.
Die Pilger suchten im Mittelalter das Dorf Cajarc auf, um sich im Hospital aus dem Jahr 1269 behandeln zu lassen. Eine der berühmtesten Bewohner des Dorfes war die Schriftstellerin Françoise Sagan (1935 – 2004).
Am Flussufer von Lot traf ich Hervé wieder, der gerade telefonierte. Er blickte auf die Brücke „Pont de Pierre“, die 1842 errichtet wurde. Ich winkte ihm zu und folgte weiter den Muschelzeichen des Jakobsweges, der an einem Wasserkraftwerk und der Kapelle Madeleine („Chapelle de la Madeleine“) vorbeiführte.
Über eine Brücke erreichte ich den Weiler Gaillac mit der alten Kirche und schönen Steinhäusern. Dort machte ich auch Bekanntschaft mit einer verschmusten Katze, die mich offensichtlich ins Herz schloss. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich gar nicht weitergehen lassen wollte. Sie folgte mir sogar einige Minuten bis zum Dorfausgang. Am liebsten hätte ich sie mitgenommen, ich sah aber noch nie eine wandernde Katze und so ließ ich sie im Dorf.
Nach dem Weiler Mas de Jantille machte ich an einem Rastplatz mit einem Brunnen und Wasserreservoir Pause. Dort saß Tom an einem der Tische. Die Dorfbewohner haben die Raststelle liebevoll mit einem Vorhang aus Jakobsmuscheln dekoriert. Wir stärkten uns und liefen gemeinsam weiter nach Limogne-en-Quercy. Kurz vor dem Ort folgt der Jakobsweg einem botanischen Lehrpfad.
Limogne-en-Quercy
Tom übernachtete in Limogne-en-Quercy in der gleichen Pilgerherberge. Sie wird von einem herzlichen französischen Ehepaar geleitet. Wir sahen uns das kleine Dorf an und gönnten uns noch ein Glas Rotwein in einem kleinen Restaurant in der Dorfmitte. Wir freuten uns schon darauf, dass wir in zwei Tagen bereits in der berühmten Stadt Cahors sein werden. Tom kannte die Stadt schon, weil er 2017 bereits dort war, als er eine Wanderung um Mont Blanc machte. Müde kehrten wir in unsere Pilgerherberge zurück.
Quellen
Titelfoto: "Der Friedenswunsch", Fotorechte: Dario schrittWeise Engel, Helmut: "Frankreich: Jakobsweg. Via Podiensis, von Le Puy-en-Velay nach Saint-Jean-Pied-de-Port", Welver, S. 111 - 126
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